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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ritter
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starke Persönlichkeit ist, wie zum Beispiel diese Casting-Jugendlichen. Herr Müller … oh, ruft an! Jajaja! Ich gehe sofort ran.
    »Wie läuft es?«
    »Paul, es ist eigentlich ganz logisch.«
    »Was?«, kreische ich, so hysterisch wie zehn Castingjugendliche zusammen. »Was ist logisch?«
    Etwa, dass Herr Jauch doch nicht gekommen ist, weil er kurzfristig den Bundespräsidenten interviewen musste?
    »Alles nach Plan, keine Sorge. Wir sind nur ein bisschen spät dran. Versetze dich mal in die Lage eines Prominenten. Wie würdest du …«
    »Herr Müller, ich hab jetzt wirklich nicht die Nerven, deine Fragespielchen zu spielen.«
    Eigentlich sollte ich aufatmen. Aber ich bin wütend. So ist das, wenn sich Angespanntheit lösen sollte, man aber weiter auf die Folter gespannt wird.
    »Was war denn los?«
    »Wir haben ihn nicht gefunden. Wir waren pünktlich am Treffpunkt, er und sein Bodyguard auch. Aber es hat dann doch ein bisschen länger gedauert, bis wir ihn erkannt haben.«
    »Wieso das denn?«
    Montag, 20.15
    Wenn er keinen Anzug trägt, sieht Günther Jauch nicht wie Günther Jauch aus. Er wirkt so menschlich in diesem Kapuzenpulli, so nahbar. Günther Jauch liegt auf unserer Wohnzimmercouch und schläft. Das muss man sich mal vorstellen: GÜNTHER JAUCH liegt auf UNSERER Wohnzimmercouch und schläft! Nennt man das eigentlich schlafen, wenn man betäubt wurde? Jedenfalls gibt er seit Kurzem unregelmäßige Schnarchgeräusche von sich. Könnte darauf hindeuten, dass er bald aufwacht. Katja, Herr Müller und ich sitzen im Schneidersitz vor ihm auf dem Boden und warten gespannt.
    »Irgendwie ist das, wie ein Kind zu bekommen«, sagt Katja. »Was wohl seine ersten Worte sind?«
    Jetzt wimmert er ein bisschen im Schlaf und bewegt sich auch. Er zuckt. Lange kann es nicht mehr dauern, bis er die Augen öffnet. Wir halten den Atem an, Herr Müller vergräbt seine Nase in den gefalteten Händen. Und da passiert es. Günther Jauch öffnet die Augen.
    »Was soll das?«, fragt er.
    »Wir haben Sie entführt, Herr Jauch«, sagt Katja.
    Günther Jauch verdreht genervt die Augen.
    »Och nee. Nicht schon wieder!«, sagt er.
    Stille.
    Er will wohl die Hände vors Gesicht schlagen, aber die haben wir ihm zusammengebunden. Er schlägt sich fast selbst auf die Nase.
    »Wieso schon wieder?«, spricht Katja unser offensichtliches Wissensdefizit aus.
    »Ja glauben Sie, Sie sind die Ersten, die auf diese Entführungsidee gekommen sind?«, fragt er.
    Nach einigen Sekunden allgemeiner Bedenkzeit antwortet Herr Müller bestimmt: »Ja, das haben wir geglaubt!« Wir sind verwirrt. Was will der Mann? Er kann einfach nicht schon mal entführt worden sein.
    »Da haben Sie sich getäuscht. Das hier ist meine, warten Sie mal – achte Entführung. Ja, genau, die achte. Machen Sie das etwa zum ersten Mal? Heißt das, Sie haben keine Ahnung, wie das in der Branche abläuft?«
    Günther Jauchs Gesicht wirkt ernsthaft ratlos. So wie wenn ihm eine gegenübersitzt, die mit der 50-Euro-Frage überfordert ist, obwohl es nicht mal um ein Sprachspiel geht. Was will er uns mitteilen? Es wird ja wohl keine Promi-Entführungsindustrie geben.
    »Meine Fresse«, sagt er genervt, was mich etwas überrascht, im Fernsehen benutzt er solche Ausdrücke nämlich nicht, da würde er vielleicht ojemine sagen.
    »Meine Fresse, Sie haben wirklich keine Ahnung und haben mich trotzdem gekriegt. Respekt!« Da lächelt er plötzlich.
    »Auch der blinde Vogel findet manchmal einen Wurm«, quakt Katja drauflos und schiebt ein »Hihi« hinterher.
    Durch ihr Anlachen wird klar, dass es sich um eine humorige Bemerkung handeln sollte. Günther Jauch sieht sie entsetzt mit weit aufgerissenen Augen an. Dann lächelt er mit nachsichtigem Ausdruck, schüttelt leicht den Kopf und sagt: »Entschuldigung. Ich vergesse manchmal, dass die meisten Menschen kein Autorenteam haben, das ihre spontanen Gags für sie schreibt. Jetzt aber mal im Ernst: Binden Sie mich los, dann reden wir darüber wie vernünftige Menschen. Sie brauchen keine Angst zu haben. Wenn Sie mich ordentlich behandeln, kann Ihnen gar nichts passieren. Sie kriegen Ihr gefordertes Geld in ein paar Tagen, ich mache hier so lange ein bisschen Urlaub, und dann gehen wir fröhlich unserer Wege. Ich bin nicht nachtragend.«
    Er redet mit einer solchen Selbstverständlichkeit über die Sache, bei gleichzeitiger kompletter Ahnungslosigkeit unsererseits, dass es auf mich den Eindruck macht, als würde der Missionar den Wilden im

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