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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ritter
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Müller!«
    Wir anderen steigen mit ein und beschließen und betrinken so die Siez-Hürde, die, wie ich finde, nicht viel von der Intimität nimmt, die sich zwischen Entführtem und Entführern eingestellt hat. Dass Katja und ich von Herrn Jauch mit dem Vornamen angesprochen, aber trotzdem gesiezt werden, empfinde ich auch als völlig normal. Wir haben uns ihm ja gar nicht anders vorgestellt. Außerdem kenne ich das so aus dem Laden. Dort weiß die Stammkundschaft zwar meinen Nachnamen, aber ich kann mich wirklich nicht erinnern, dass er jemals von ihr, also der Stammkundschaft, also ihnen, meinen meist weiblichen und älteren Kundinnen, benutzt worden wäre. Ich bin der Dienstleister, ich gebe den Leuten, was sie haben wollen, der Kunde ist König, ich bin der Lakai. Paul, Sie. Dass sie trotzdem Respekt vor mir haben, ist selbstverständlich. Drüben im Dorf haben alle Respekt voreinander, zumindest wenn sie direkt miteinander reden. Was hinter vorgehaltener Hand passiert, steht auf einem ganz anderen Blatt. Grade Dr. Fischer zum Beispiel wird mit großem Respekt behandelt, wenn zum Beispiel Frau Oberhaid im Laden mit ihm redet. Das kommt ja nicht selten vor. Schon dass sie ihn mit »Herr Doktor« begrüßt und immer interessiert tut und nickt, wenn er ihr seinen täglichen Einminüter darüber vorträgt, was seiner Meinung nach in der Weltpolitik schiefläuft, zeugt von gewaltigem Respekt. »Wie recht Sie haben!«, ruft sie dann öfter aus. Aber wenn er dann aus dem Laden raus ist und sie beim Bezahlen, sagt sie meistens so was wie: »Der Genosse Fischer würde auch den Eisernen Vorhang wieder aufhängen, aber nur von der anderen Seite.«
    Trotzdem, Respekt ist da, dabei bleibe ich. Und der ist auch da, wenn wir hier ums Planschbecken weiterhin beim Sie bleiben. Kommunikation auf Augenhöhe ist es sowieso, da sich unsere Augen durch die Sitzposition in etwa auf gleicher Höhe befinden.
    »Ich habe da eine super Idee, was wir mit dem angebrochenen Tag noch machen könnten«, sagt Herr Jauch und späht schelmisch zum Kuhstall hinüber, »Bullriding!«
    Mittwoch, 15.55
    Es war nicht sonderlich schwer, die Kühe aus dem Stall heraus auf die Wiese zu bugsieren. Wir kennen uns ja. Und da stehen sie nun, die drei, hübsch aufgereiht: Helene, Rosamunde und Joanne K.
    »So eine Kuh ist in natura tatsächlich größer, als man denkt«, sagt Herr Jauch, Rosamundes Rückgrat befindet sich etwa auf Höhe seiner Brustwarzenlinie.
    Wir Männer stehen, konzentriert und bereit zum Aufschwung, neben unserer jeweiligen Kuh. Wie die deutsche Olympiaturnmannschaft bei den Spielen 2012 in London vor dem Gerät, dem Seitpferd, oder eben der Seitkuh, nur dass die Seitkuh keine Griffe hat. Wer mag wohl wer sein und sich am besten schlagen? Wer ist Hambüchen, wer Boy und wer Nguyen? Wer kann die Erwartungen erfüllen? Wer patzt? Es wird sich zeigen. Katja fasst die Regeln noch einmal zusammen und leitet den Start des Wettbewerbs ein. »Geehrte Wettstreiter, die Regeln unseres Bullridings sind folgende: Alle setzen sich auf mein Kommando gleichzeitig auf ihre Kuh. Dann warten wir, bis zwei runterfallen. Derjenige, der zuletzt oben sitzt, hat gewonnen und wird morgen den ganzen Tag lang von den beiden Verlierern bedient.« Ich kenne diese Kühe schon ein paar Jahre. Auf die Idee, mich auf sie zu setzen, bin ich aber bisher nicht gekommen. Ich streichle Joanne K daher in angemessener Stärke – eine Kuh darf man nicht zu leicht streicheln –, über den Rücken und flüstere ihr Beruhigendes und Verschwörerisches ins Ohr.
    »Auf die Plätze, fertig, los!«, ruft Katja.
    Herr Jauch steht mit dem Rücken zu mir, ich beobachte seinen ersten Aufstiegsversuch. Er greift Rosamunde an der Schulter, holt durch einige Kniebeugen Schwung und wirft sein rechtes Bein mit Verve über ihren Rücken. Der Körper folgt, und dann ist Herr Jauch ungeplant über die Kuh hinweg und hinter ihr verschwunden. »Aaahiaaah!«, ruft er grade. Doch etwas zu viel Schwung. Rosamunde schaut desinteressiert auf und wiederkäut routiniert weiter.
    »Das zählt nicht, das war nur Übung«, ruft Herr Jauch, den ich gar nicht mehr sehen kann. Katja entscheidet, ihm recht zu geben, auch, weil ich selbst nicht auf ihr Kommando aufgesprungen bin. Ich war einfach zu gefesselt von der Jauch’schen Pannenakrobatik. Herr Müller befindet sich bereits sicher auf Helene und murrt. Er darf sitzen bleiben und erhält einen Zeitbonus, entscheidet Katja; Herr Jauch und ich müssen

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