Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
jetzt an?«
»Ich bin allein im Laden. Annette ist mit dem Gemüsemann ins Café Sulzberg frühstücken gegangen. Ich weiß nicht, was ich in einer solchen Situation machen soll, das haben Sie mir nicht beigebracht. Soll ich den Laden schließen?«
»Hm. Wie schlimm ist es denn? Liegt sie noch auf dem Boden?«
»Ja, hören Sie mal, ich halte den Hörer hin.«
Ich höre Frau Rottenbauer leise röcheln. Ich bin umso lauter:
»Etienne! Jetzt hilf ihr doch, die Frau krepiert ja!«
»Ich fass doch keine alten Frauen an! Vielleicht breche ich ihr noch was, wenn ich sie berühre. Das sollen mal lieber die Sanitäter machen, die sind dafür ausgebildet. Ich sage einfach den Kunden, dass sie später wiederkommen sollen, ja?«
»Vielleicht hast du recht. Ja, tu das. Lass sie liegen. Sprich mit ihr. Wie ist das überhaupt passiert?«
»Sie hat in der Zeitung gelesen, dass Günther Jauch entführt wurde, und das hat sie nicht verkraftet.«
Ich weiß nicht genau, an welchen Körperstellen ich überall Haare habe, zum Beispiel kann ich nicht so gut auf meinen Rücken sehen. Dass sich aber alle möglichen vorhandenen Haare an mir gerade senkrecht aufgestellt haben, daran besteht kein Zweifel.
»Herr Wildensorg? Warum sagen Sie nichts?«
»Ist schon gut.«
»Sie klingen ja plötzlich ganz schwach.«
»Ich mache mir eben Sorgen … um Frau Rottenbauer.«
Plötzlich höre ich leise von irgendwo einen Sirenenton anschwellen. Jetzt ist es vorbei. Sie haben uns. Sie kommen uns jetzt holen.
»Der Krankenwagen ist da. Ich muss auflegen. Ich rufe Sie später wieder an.«
»Ja, Etienne, später«, sage ich und behalte das Telefon am Ohr, noch lange nachdem es still geworden ist. Ich glaube, ich muss mich ein bisschen übergeben gehen.
Als ich damit fertig bin, stolpere ich nach unten in die Küche, wo Günther Jauch und Herr Müller eine Partie Schach spielen. Ein flüchtiger Blick zeigt mir sofort die deutliche Dominanz Jauchs. Katja rührt irgendetwas in einer Schüssel.
»Ihr wisst noch nichts, hab ich recht?«, frage ich zur Begrüßung.
»Was sollen wir wissen?«, fragt Günther Jauch scheinheilig, ohne aufzusehen.
»Dass die Bombe geplatzt ist! Das Kind ist im Teich! Die totale …«, in meiner Aufregung bin ich mir nicht sicher, ob ich die richtigen Worte finde, »… Eskalation! Der Rubikon ist sozusagen überschritten, verdammte Scheiße.«
Jetzt sehen mich alle an. Ich gestikuliere weiter, ohne noch Tiraden parat zu haben und haue schließlich einfach auf den Tisch. Bumm.
»Hey!«, ruft Herr Müller. »Jetzt sind meine Türme umgefallen. Idiot!«
»Unsere Türme sind auch umgefallen. Die Sau ist ausgebrochen. Die Jauch-Sache steht in der Zeitung!«
»Typisch«, kommentiert Herr Jauch kopfschüttelnd, »nie fragen sie einen, wenn sie was über einen bringen. Und diesmal kann ich nicht mal dagegen klagen.«
Eine Minute später sitzen wir im Wohnzimmer und zappen von Sondersendung zu Sondersendung, wie gestern Abend, als noch alles in Ordnung war. Jetzt sind wir aber sehr viel weniger gemütlich. Peter Klöppel prodziert auf RTL einen schiefen Gesichtsausdruck, setzt sich Sorgenfalten auf die Stirn und sagt: »Wie wir vor wenigen Stunden erfahren mussten, wurde der erfolgreiche Moderator und Publikumsliebling Günther Jauch« – er reißt weit die Augen auf – » ENTFÜHRT ! Noch wissen wir nichts Genaues. Die Polizei gibt aus ermittlungstaktischen Gründen keine Informationen preis. Sehen Sie daher Reaktionen, die wir in der Kölner Fußgängerzone eingefangen haben.«
Die erste angesprochene Passantin bricht spontan in Tränen aus.
Das Sat.1-Frühstücksfernsehen befragt eine Kartenlegerin, ob sie etwas über Günther Jauchs Aufenthaltsort sagen könne. »Die Karten sagen immer die Wahrheit«, sagt sie, »die Frage ist, ob wir die Karten richtig verstehen.«
Einer der privaten Nachrichtensender spricht mit einem Experten. Worin er Experte ist, wird nicht so ganz klar, unter seinem Namen in der Bauchbinde steht lediglich Experte. Seine Expertise lautet: »Herr Jauch wird danach nie wieder derselbe sein. So eine Entführung ist ein tief traumatisches Erlebnis. Das hinterlässt Wunden, seelische Wunden!«
»Schalten Sie das aus, das ist ja schlimmer als die Lieblingshits der Norddeutschen!«, sagt Günther Jauch und windet seine Gliedmaßen in ehrlicher Abneigung, so wie man es sonst vielleicht nur von Christian Rach kennt, wenn ihm die Suppe nicht mundet.
»Wahrscheinlich versenden sie jetzt auch schon
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