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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ritter
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überall meinen aktuellen Nachruf.«
    Er fasst sich intuitiv an die Kehle, wo er seinen Krawattenknoten lockern will, stellt dann aber fest, dass er gar keine Krawatte trägt.
    »Das ist mir schon etwas unangenehm, dass es rausgekommen ist«, sagt er zu uns gewandt. »Wirklich, so war das bisher nie. Da hat irgendjemand Mist gebaut.«
    »Unangenehm? Mist gebaut?«, brülle ich los. »Sie haben uns die ganze Zeit erzählt, so eine Entführung wäre nicht schwieriger, als zwanzig Euro vom eigenen Konto abzuheben. Sie haben die ganze Zeit gesagt, das ist gaaar nichts Besonderes, das ist Tagesgeschäft , das kommt niemals raus, das ist pillepalle.«
    »Pillepalle hab ich nie gesagt. Dieses Wort würde ich nie in den Mund nehmen.«
    Ich werde ernsthaft wütend. Nein, Moment, ich bin schon längst ernsthaft wütend.
    »Was sollen wir denn jetzt machen?«, schreie ich weiter und drehe Kreise im Raum. »Wie stehen wir denn jetzt da? Als wären wir echte Kriminelle! Die stecken uns ins Gefängnis, wenn sie uns kriegen! Das kann doch nicht angehen! Wir tun hier doch nichts Böses oder so, verdammt. Wir haben Sie doch nur ein bisschen … sanft entführt.«
    Mir kommen die Tränen.
    Katja nimmt mich in den Arm und streichelt mir den Kopf. »Wird alles wieder gut, alles wieder gut.«
    »Wir kommen schon wieder raus aus der Nummer«, sagt Herr Müller.
    »Dann lassen wir das mit dem Lösegeld eben und fahren ihn irgendwohin und lassen ihn laufen«, er wendet sich zu Günther Jauch, »oder?«
    »Für mich ist das doch auch ganz neu. Ich habe da leider keine Erfahrungswerte. Schade wäre es schon, wenn Sie nichts dafür kriegen. Immerhin hatten Sie Umstände. Allein die Miete für die Limousine. Und die meisten anderen haben sich beim Unterhaltungsprogramm weniger Mühe gegeben.«
    »Da haben Sie recht«, sagt Herr Müller und ändert seine Meinung schneller, als Joanne K Muh machen kann, »wir ziehen das auf jeden Fall durch, irgendwie … Was ist das?«
    Es ist ein knattriges Geräusch, das von draußen kommt und anschwillt. Ein Geräusch, das man hier in der Gegend, gerade hier über unserem Bauernhof, selten bis noch nie gehört hat: die Rotorblätter eines Hubschraubers.
    »Das ist jetzt aber kein Zufall«, sagt Katja.
    Ich glaube, das ist das Intelligenteste, was sie je von sich gegeben hat.
    »Oh«, sagt Herr Jauch. »Das hatte ich ja ganz vergessen.«
    Wir sehen ihn wortlos an. Herrn Müller läuft ein einzelner Schweißtropfen die Stirn hinunter, bis er von seiner linken Augenbraue aufgehalten wird.
    »Was?«, sagt er so ruhig, dass es mir Angst macht.
    Herr Jauch spricht vorsichtig: »Ich habe noch mein Zweithandy dabei. Im Koffer versteckt. Zwischen meinen Sachen. Ein altes Nokia, bei dem der Akku noch länger als eine Woche hält. Das haben sie wahrscheinlich geortet.«
    »Wir sind am Arsch«, sagt Herr Müller. »Ich habe von Anfang an gesagt, dass das keine gute Idee ist mit der Entführung.«
    »Es war DEINE Idee!«, brülle ich ihn an.
    »Lassen Sie uns bitte einen kühlen Kopf bewahren«, sagt Herr Jauch, »und fliehen!«
    Fliehen?
    »Fliehen?«, fragt Herr Müller.
    »Über uns steht ein Hubschrauber in der Luft«, kreische ich. »Wohin wollen Sie da fliehen?«
    Ich weiß nicht, was zuerst aufgeben wird, meine Stimme oder mein Vorhaben, niemandem Gewalt anzutun. Ich habe keine große Erfahrung mit Ausnahmesituationen. Wahrscheinlich nennt man sie deshalb so.
    »Sie kennen sich doch im Wald hier nebenan aus«, sagt Herr Jauch und führt seine Finger zusammen wie Angela Merkel oder Mr. Burns, Spitze auf Spitze. Ich glaube, wir sehen zum ersten Mal seine dunkle Seite.
    »Im dichten Wald entdeckt uns keiner aus der Luft. Und noch ist außer dem Hubschrauber niemand draußen. Mit dem Auto braucht man doch ewig, bis man hier ist. Das haben Sie selbst erzählt, Paul. Also sollten wir uns schleunigst ins Auto setzen und abhauen. Alles Weitere besprechen wir im Wald. Im tiefen, düsteren Wald.«
    »Und wenn die uns erschießen, aus dem Hubschrauber heraus, wenn wir raus ins Auto gehen?«, fragt Katja.
    »Solange ich bei Ihnen bin, wird hier gar niemand erschossen«, sagt Herr Jauch, »und ich habe nur eine einzige Bedingung … ich darf vorne sitzen. Wegen der Beinfreiheit.«
    »Abgemacht«, sagt Herr Müller. »Wo sind die Autoschlüssel?«
    Im Wald
    Es hat funktioniert. Wir sind im Wald. In Herrn Müllers Gelände-Subaru mit Vierradantrieb im Wald. Herr Müller steuert und navigiert, Herr Jauch darf Beifahrer sein. Ich

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