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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Erinnerung an ihre Schwester zu, ihren alten Kindernamen verwendend. »Ich kann dich nicht mehr ansehen.«
    »Aber letztlich bin ich wie sie.« Die Berge hatten angefangen, ihr etwas vorzusingen; daraufhin riskierte auch sie Gehirnzellen, um hoch hinauszukommen. Berühmte Ärzte, Spezialisten in Fragen der Bergsteigerei hatten wiederholt und unanfechtbar nachgewiesen, dass Menschen in achttausend Meter Höhe ohne Sauerstoffgeräte nicht überleben konnten.
    Irreparable Schäden durch Augenblutungen würden auftreten und auch das Gehirn würde explodieren, würde Milliarden Zellen verlieren, viel zu viele und viel zu plötzlich; das Resultat wäre eine unter dem Namen »Höhenkoller« bekannte, bleibende Schädigung, die in kürzester Zeit zum Tod führte. Im ewigen Schnee der höchsten Gipfel lägen die hervorragend erhaltenen Leichen Erblindeter. Doch Allie und Sherpa Pemba stiegen hinauf und stiegen herunter und erzählten ihre Geschichte. Zellen aus dem Gehirndepot ersetzten die laufenden Verluste. Und auch die Augen nahmen keinen Schaden. Warum hatten sich die Wissenschaftler geirrt?
    »Vorurteil, hauptsächlich«, log Allie, unter Fallschirmseide an Gibril gekuschelt. »Sie können die Willen nicht messen, also berücksichtigen sie ihn bei ihren Berechnungen nicht. Aber es ist Willenskraft, die ei nen den Everest bezwingen lässt , Willenskraft plus Zorn, und sie kann jedes beliebige Naturgesetz außer Kraft setzen, zumindest kurzfristig, die Schwerkraft nicht ausgeschlossen. Jedenfalls, wenn man sein Glück nicht herausfordert.«
    Schädigungen waren trotzdem aufgetreten. Sie litt zuweilen an unerklärlichen Gedächtnislücken: kleine, unvorhersehbare Dinge. Einmal, beim Fischhändler, war ihr das Wort Fisch nicht mehr eingefallen. Und eines Morgens im Badezimmer griff sie zur Zahnbürste, ohne zu wissen, wozu sie diente. Und eines anderen Morgens, als sie neben dem schlafenden Gibril aufwachte, wollte sie ihn scho n wachrütteln, um ihn zu fragen »Verdammt, wer bist du? Wie bist du in mein Bett gekommen?« als, gerade rechtzeitig, die Erinnerung zurückkehrte.
    »Hoffentlich ist es nichts Bleibendes«, sagte sie zu ihm. Behielt aber selbst jetzt für sich, dass ihr der Geist Maurice Wilsons auf den Dächern rings um die Fields erschienen war und ihr einladend zugewinkt hatte.
     
    Sie war eine kompetente Frau, eindrucksvoll in vielerlei Hinsicht: durchaus der Typ Profisportlerin der achtziger Jahre, betreut von dem Werbegiganten MacMurray, bis zur Halskrause gesponsert. Jetzt tauchte auch sie in der Werbung auf, führte ihre eigene Kollektion von Bergsteigerausrüstung und Freizeitkleidung vor, wobei sie eher Urlauber und Amateure ansprach als professionelle Alpinisten, um zu maximieren, was Hai Valance das Universum genannt hätte. Sie war das Goldene Mädchen vom Dach der Welt, die Überlebende
    »meines teutonischen Zweiers«, wie Otto Cone seine Töchter gern bezeichnet hatte. Wieder einmal trete ich in deine Fußstapfen, Yel. Sich als attraktive Frau in einem von, sagen wir: haarigen Männern dominierten Sport zu behaupten, war etwas, das sich verkaufen ließ, und das Image der »Eiskönigin« schmerzte sie nicht. Das Geschäft versprach Geld, und nun, da sie alt genug war, von ihren alten, feurigen Idealen mit einem Schulterzucken und einem Lachen Abschied zu nehmen, war sie bereit, dieses Geld zu mac hen, sogar bereit, in Talkshows aufzutreten, um mit zweideutigen Anspielungen sich den unvermeidlichen und stets gleichen Fragen nach dem Liebesleben in achttausend Metern Höhe zu erwehren. Sich mit derartigen Kapriolen öffentlich zu exponieren, vertrug sich nur schlecht mit dem Selbstbild, an das sie sich noch immer leidenschaftlich klammerte: die Vorstellung, dass sie eine geborene Einzelgängerin war, durch und durch Privatperson, die nicht von den Zwängen des Geschäftslebens zerrissen werden wollte. Zu ihrem ersten Streit mit Gibril kam es, weil er in seiner unverblümten Art sagte: »Es ist okay, vor den Kameras wegzulaufen, solange du weißt, dass sie hinter dir her sind. Aber angenommen, sie sind nicht mehr hinter dir her?
    Vermutlich würdest du kehrtmachen und in die andere Richtung laufen.« Später, nachdem sie sich versöhnt hatten, zog sie ihn mit ihrer wachsenden Berühmtheit auf (seit sie als erste sexuell attraktive Blondine den Everest bezwungen hatte, gab es erheblich mehr Wirbel um sie, mit der Post kamen Fotos höchst gutaussehender Männer, auch Einladungen zu exklusiven Soireen

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