Die Satanischen Verse
nicht zur Verfügung. Eine Burleske für unsere erniedrigte, imitierende Zeit, in der Clowns nachspielen, was Helden und Könige einst taten. Nun, so mag es denn sein.
Die Frage, die hier gestellt wird, bleibt so groß, wie sie immer war: Nämlich, die Natur des Bösen, wie es entsteht, warum es wächst, wie es eine vielschichtige menschliche Seele einseitig in Besitz nimmt. Oder sagen wir: das Rätsel des Jago.
Es ist nichts Ungewöhnliches, dass literarisch-theatralische Exegeten, von dieser Figur übe rfordert, ihre Handlungen einer »unmotivierten Bösartigkeit« zuschreiben. Das Böse ist böse und tut Böses, Schluss ; das Gift der Schlange ist seine Definition schlechthin. So billige Erklärungen lassen wir hier nicht durchgehen. Mein Chamcha mag zwar kein Fähnrich von Venedig sein, meine Allie keine eingestaubte Desdemona, Farishta dem Mohren nicht gewachsen, doch zumindest werden sie mit Deutungen kostümiert sein, wie mein Verständnis es zulässt . So also winkt Gibril einen Gruß; Chamcha nähert sich; der Vorhang hebt sich über der Bühne, das Licht geht aus.
Beobachten wir zunächst, wie isoliert dieser Saladin ist; sein einziger williger Begleiter ist eine trunkene und kartographisch bebuste Fremde, und er kämpft sich allein durch die festende Menge, in der jeder mit jedem befreundet zu sein scheint (und es nicht ist), während dort auf der London Bridge Farishta steht, von Bewunderern umlagert, mitten im Mittelpunkt der Menge; als nächstes wollen wir uns der Wirkung der güldenen, bleichen und eisigen Gestalt an Fa rishtas Seite - Alleluja Cone - auf Chamcha, der England in Form seiner verlorenen englischen Frau liebte, zuwenden; er schnappt sich ein Glas vom Tablett eines vorbeiziehenden Kellners, spült den Wein hinunter, nimmt noch eins; und scheint in der fernen Allie die Gesamtheit seines Verlusts zu erblicken; und ebenso wird, auf andere Weise, Gibril rasch zur Summe von Saladins Niederlagen; dort, in dem nämlichen Augenblick, steht eine weitere Verräterin bei ihm; aufgetakelt wie ein junges Mädchen, fünfzignochwas und klimpert mit den Wimpern wie eine Achtzehnjährige, Chamchas Agentin, die respektheischende Charlie Seilers; ihn würdest du ja wohl nicht mit einem transsilvanischen Blutsauger vergleichen, nicht wahr, Charlie, ruft der zornige Beobachter innerlich und schnappt sich noch ein Glas -und sieht auf dessen Grund seine eigene Anonymität, des anderen ebenso große Berühmtheit und die große Ungerechtigkeit der Einteilung; insbesondere - überlegt er bitter -, weil Gibril, der Eroberer Londons, in der Welt, die ihm nun zu Füßen fällt, keinen Wert erkennen kann; das Schwein hat immer nur gehöhnt, das Große London, Vilayet, die Engländer, Spoono, was sind das doch für kalte Fische, ich schwör’s dir; Chamcha, der sich ihm unerbittlich durch die Menge hindurch nähert, scheint, jetzt im Moment, dasselbe Höhnen auf Farishtas Gesicht zu sehen, Verachtung eines auf den Kopf gestellten Podsnap, für den alles Englische lachens— anstatt rühmenswert ist; o Gott, wie grausam es ist, dass er, Saladin, dessen Ziel und Kreuzzug es war, diese Stadt sich zu eigen zu machen, miterleben muss , wie sie vor seinem Verachtung überfließenden Rivalen niederkniet!
- dazu kommt noch: dass Chamcha sich danach sehnt, in Farishtas Schuhen zu stehen, während sein eigenes Schuhwerk für Gibril auch nicht von geringstem Interesse ist.
Was ist unverzeihlich?
Chamcha schaut Farishta zum ersten Mal seit ihrer abrupten Trennung in Rosa Diamonds Diele wieder ins Gesicht, sieht die seltsame Leere im Blick des anderen, erinnert sich mit übermächtiger Stärke der damaligen Leere, Gibril steht auf der Treppe und tut nichts, während er, Chamcha, gehörnt und gefangen, in die Nacht hinausgezerrt wird; und er spürt, wie der Hass zurückkehrt, spürt, wie er ihn von Kopf bis Fuß mit frischer grüner Galle füllt, hör nicht auf Entschuldigungen, schreit sie, zum Teufel mit Nachsicht und Was -h ätte-er-schon-tun-können; was jenseits von Vergebung ist, ist eben jenseits. Man kann eine innere Verletzung nicht nach der Größe des Lochs beurteilen.
Daher: Gibril Farishta, von Chamcha angeklagt, erhält eine härtere Behandlung als Mimi und Billy in New York und wird für alle Ewigkeit der Unverzeihlichen Sache schuldig gesprochen.
Daraus folgt, was folgen muss . Doch dürfen wir uns gestatten, eine Weile über die wahre Natur dieses Äußersten, dieses Unsühnbaren Vergehens zu
Weitere Kostenlose Bücher