Die Satanischen Verse
Mutter deutete matt auf die herannahenden Autos.
Augenblicke später stand die hochgewachsene, strenge Gestalt des großen Bankiers über ihnen. »Wenn ich es nicht selbst gesehen hätte, hätte ich es nicht geglaubt«, sagte er. »Man hat es mir erzählt, aber ich habe es nicht ernstgenommen. Deshalb hat es so lange gedauert, bis ich dahintergekommen bin. Aus Peristan ohne ein Wort zu verschwinden: Was zum Donner soll das?«
Mrs. Qureishi bebte hilflos unter den Augen ihres Mannes, fing an zu weinen, spürte die Schwielen an ihren Füßen und die Erschöpfung, die sich in jeder Pore eingenistet hatte. »O Gott, ich weiß es nicht, es tut mir leid«, sagte sie. »Gott allein weiß, was über mich gekommen ist.«
»Weißt du nicht, dass ich einen heiklen Posten bekleide?« rief Mr. Qureishi. »Das Vertrauen der Öffentlichkeit ist essentiell.
Was macht das da für einen Eindruck, dass meine Frau mit Bhangis herumzigeunert?«
Mishal nahm ihre Mutter in die Arme und sagte zu ihrem Vater, er solle sie nicht schikanieren. Mr. Qureishi sah zum ersten Mal, dass seine Tochter das Zeichen des Todes auf der Stirn trug, und sackte sogleich wie ein Luftschlauch zusammen.
Mishal erzählte ihm von ihrem Krebs und dem Versprechen der Seherin Aischa, dass in Mekka ein Wunder geschehen und sie völlig geheilt würde.
»Dann fliege ich dich nach Mekka, pronto«, bat ihr Vater.
»Warum zu Fuß gehen, wenn du mit dem Airbus fliegen kannst?«
Aber Mishal blieb hart. »Du solltest wieder gehen«, sagte sie zu ihrem Vater. »Nur die Gläubigen können das geschehen machen. Mami wird sich um mich kümmern.«
Mr. Qureishi gesellte sich in seiner Limousine ratlos zu Mirza Said am Ende der Prozession und schickte ständig einen der beiden Diener aus, die ihn a uf Motorrollern begleiteten, um Mishal zu fragen, ob sie gern etwas hätte, Essen, Medizin, Thums Up, was immer. Mishal lehnte alle Angebote ab, und nach drei Tagen - schließlich ist eine Bank eine Bank - reiste Mr. Qureishi wieder in die Stadt zurück, ließ jedoch einen der beiden RollerChaprassis zurück, der die Frauen bedienen sollte. »Er steht euch zur Verfügung«, sagte er zu ihnen. »Seid jetzt nicht dumm. Macht es euch so angenehm, wie ihr könnt.«
Am Tag nach Mr. Qureishis Abreise setzte der Chaprassi Gul Muhammad seinen Roller in den Graben und schloss sich den Fußpilgern an, knüpfte sich ein Taschentuch auf den Kopf, um damit seine Ergebenheit zu demonstrieren. Aischa sagte nichts, doch als sie sah, dass der Rollerwalla sich in den Pilgerzug einreihte, überzog ein spitzbübisches Grinsen ihr Gesicht, was Mirza Said daran erinnerte, dass sie schließlich doch nicht nur eine Gestalt aus einem Traum war, sondern auch ein junges Mädchen aus Fleisch und Blut.
Mrs. Qureishi begann zu klagen. Der kurze Kontakt mit ihrem alten Leben hatte ihre Entschlossenheit gebrochen, und jetzt, da es zu spät war, dachte sie ständig an Partys und weiche Kissen und Gläser mit frischer, eisgekühlter Zitronenlimonade.
Plötzlich erschien es ihr völlig unvernünftig, dass jemandem mit ihrer Erziehung zugemutet wurde, wie ein hergelaufener Straßenfeger barfuß zu gehen. Mit einem verlegenen Ausdruck auf dem Gesicht suchte sie Mirza Said auf.
»Said, mein Sohn, empfindest du nur Hass für mich?« gurrte sie, während sich ihre rundlichen Züge zu einer Parodie der Koketterie arrangierten.
Said war entsetzt über ihre Grimasse. »Natürlich nicht«, brachte er zustande.
»Doch, doch, du verabscheust mich, und mein Anliegen ist hoffnungslos«, flirtete sie.
»Ammaji«, schluckte Said, »was sagst du da?«
»Weil ich gelegentlich harte Worte an dich gerichtet habe.«
» Vergiss das, bitte«, sagte Said, von ihrem Auftritt verwirrt, aber sie tat es nicht. »Du musst wissen, dass alles nur aus Liebe geschah. Liebe«, sagte Mrs. Qureishi, »ist eine facettenreiche glänzende Erscheinung.«
»Sie hält die Welt in Schwung«, stimmte Mirza Said zu und versuchte, sich dem Geist der Konversation anzupassen.
»Die Liebe besiegt alles«, bestätigte Mrs. Qureishi. »Sie hat meine Wut besiegt, Dies muss ich beweisen, indem ich bei dir im Auto mitfahre.«
Mirza Said machte eine Verbeugung. »Es ist dein, Ammaji.«
»Dann wirst du sicher die beiden Dörfler bitten, sich zu dir nach vorn zu setzen. Damen muss man schützen, nicht wahr?«
»Durchaus«, antwortete er.
Die Geschichte des Dorfes, das zu Fuß zum Meer marschierte, hatte sich im ganzen Land verbreitet, und in der
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