Die Satansbraut
vorher. Überhaupt, sagte
ich mir, hätte Celestine mich bestimmt geweckt, wenn ich zu lange geschlafen
hätte. Ich setzte mich, wandte den Kopf und erlebte den nächsten Schock.
Celestine war verschwunden.
Zuerst war ich ihr böse, weil
sie einfach weggegangen war, ohne sich abzumelden, aber dann sagte ich mir, sie
habe vielleicht nur höflich sein und mich noch ein bißchen schlafen lassen
wollen. Jedenfalls war der Pfad durch den Wald nicht zu verfehlen. Ich stand
auf, wischte mir den Sand von der Haut und wollte nach meinen Sachen greifen,
da traf mich der bislang ärgste Schlag. Meine Kleider waren weg! Wir hatten sie
in den Sand gelegt, neben einen großen Felsbrocken, und ich wußte genau, daß
ich die Stelle nicht verwechselte. Natürlich fehlten auch Celestines Sachen,
die hatte sie jetzt wahrscheinlich an, aber wieso, zum Teufel, hatte sie meine
mitgenommen? Selbstredend wurde mir gleich darauf klar, daß sie’s nicht gewesen
sein konnte, und das hieß, jemand anderer hatte sie entwendet. Ich sah mich
nervös nach allen Seiten um, konnte aber nichts entdecken. Mir blieben zwei
verlockende Möglichkeiten: Entweder verbrachte ich den Rest meiner Tage damit,
nackt am Strand herumzulaufen, oder ich ging zum Haus zurück und ließ mich
überraschen, wer mir dabei begegnete.
Etwas anderes bot sich nicht
an, erkannte ich düster. Es gab nur eins: zurücklaufen und die Daumen drücken,
daß ich nicht allzu viele Leute traf. Unterwegs und im Haus. Ich konnte mir gut
den Ausdruck in Bert Bancrofts Gesicht vorstellen, falls er mich splitternackt
ins Haus kommen sah. Retten konnte mich dann nur eins — wenn er einen
Herzanfall erlitt. Ich schlug den Weg unter den Bäumen ein, und dabei kam mir
noch eine Erkenntnis auf: Was mit Schuhen ein angenehmer Spaziergang gewesen
war, das wurde barfuß zur Qual. Stachlige Zweige drangen schmerzhaft in meine
Fußsohlen, und ich fürchtete mich schrecklich vor den Insekten, die
möglicherweise unterm Blattwerk lauerten.
Und dann, nachdem ich etwa ein
Viertel des Weges zurückgelegt hatte, trafen meine Befürchtungen ein. Ich
hörte, daß mir jemand auf dem Pfad entgegenkam. Es konnte sich nur noch um
Sekunden handeln, dann mußten wir uns gegenüberstehen. Ich mußte mich
verstecken. So hechtete ich hinter den nächsten Busch und wartete, wobei mein
Herz hämmerte, als wolle es gleich durch die Rippen springen, bis der Mensch in
Sicht kam. Er wirkte freilich nicht sehr furchterregend, ein dürrer Mann
mittleren Alters mit langen Shorts und einem ulkigen Hut. Ein paar Meter weiter
blieb er stehen und rief: »Alfred!« mit einer Fistelstimme. Er wartete ein
Weilchen, aber als er keine Antwort erhielt, ließ er die Schultern sinken und
trabte weiter Richtung Strand. Ich sagte mir, gib ihm noch fünf Sekunden Zeit,
dann kannst du weiter zum Haus marschieren, aber da, ganz plötzlich und aus dem
Nichts, erschien eine Hand und legte sich auf meinen nackten Oberschenkel.
Ich hätte normalerweise wie am
Spieß geschrien, aber irgendwie hatte ich die Stimme verloren, und alles, was
aus meinem Hals drang, war ein jämmerliches Gewimmer. Ich zwang mich, seitwärts
zu blicken, und da saß ein dicker Bub in Pfadfindertracht neben mir.
»Tu das niemals wieder!«
zischte ich ihn an. »Weißt du denn nicht, daß es sich nicht gehört, an Leute
’ranzuschleichen?«
»Ich hab’ mich ja gar nicht
’rangeschlichen.« Seine grauen Augen hinter den großen Brillengläsern sahen
mich an, ohne zu blinzeln. »Ich hab’ hier gesessen und gar nichts weiter im
Sinn gehabt, da sind Sie mir beinahe auf den Kopf gesprungen.«
»So?« Ich schluckte heftig.
»Nun, da muß ich mich wohl entschuldigen.«
»Ist ja schon gut«, sagte er.
»Verstecken Sie sich auch vor Mr. Robinson?«
»Wer ist denn Mr. Robinson?«
»Der Scoutmaster. Er ist der
Mann, der eben vorüberkam.« Er beguckte mich immer noch, ohne zu blinzeln. »Ich
hasse Mr. Robinson. Er findet mich komisch, nur weil ich dick bin.«
»Ich hasse ihn auch«, sagte
ich, »obwohl ich nicht dick bin.«
»Ich weiß nicht recht«, sagte
das kleine Ungeheuer. »Jedenfalls wette ich, daß Sie ’ne dickere Brust haben
als ich!«
»Mädchen sind eben anders
gebaut«, sagte ich durch zusammengebissene Zähne.
Er zuckte selbstgefällig die
Schultern. »Fett bleibt Fett.«
»Na, wie du willst«, sagte ich.
»Und ich muß jetzt gehen.«
»Bleiben Sie doch noch«, bat
er. »Ich unterhalte mich gern mit Ihnen. Sie sind ganz anders als die Frauen,
die
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