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Die scharlachrote Spionin

Die scharlachrote Spionin

Titel: Die scharlachrote Spionin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Pickens
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erlaubte sich die Andeutung eines Lächelns.
    Ein paar Sekunden lang betrachtete Sofia ihr Spiegelbild. »Wenn ich doch nur behaupten könnte, ich besäße im Angesicht der Gefahr denselben Mut und dieselben Fertigkeiten wie sie.«
    Rose zupfte die letzten Strähnen an ihren Platz und legte sich die Nadeln in einer schnurgerade ausgerichteten Reihe zurecht. »Nach dem zu urteilen, was ich gesehen habe, Mylady, brauchen Sie sich nicht zu verstecken.«
    »Oh, vielen Dank, Rose.« Es mochte zwar nur ein pflichtgemäßes Kompliment sein, stärkte ihr Selbstbewusstsein aber trotzdem enorm.
    Anstatt zu antworten, wühlte die Zofe im Schrank. »Der burgunderfarbene Umhang sollte Ihrer Garderobe genau den richtigen Farbtupfer verleihen. Elegant, anständig und trotzdem nicht zu übersehen.« Die Fransen legten sich federleicht über Sofias Arme; vielleicht war es nur Einbildung, aber sie hatte den Eindruck, dass die abgearbeiteten Hände der Zofe einen Hauch länger verharrten als üblich.
    »Ausgezeichnet.« Rose trat zurück, um die Wirkung einzuschätzen. »Nun, Sie sollten sich lieber auf den Weg machen. Die Kutsche wartet bereits, und es wäre nicht klug, sich zum Vortrag zu verspäten.«
    Lächelnd griff Sofia nach dem Retikül. »Ich bin mir nicht ganz sicher, was mich dort erwartet. Wir können nur hoffen, dass ich mich nicht unter den Löwen im Kolosseum wiederfinde.«
    »Es ist wahrscheinlicher, dass man Ihnen einen Ehrenplatz anweisen wird, damit alle anderen sich an Ihrem Anblick erfreuen können.«
    Rose sollte recht behalten. Denn kurze Zeit später wurde Sofia zu einem Platz in der ersten Reihe geleitet, direkt neben dem Vorsitzenden des Vereins, einem beleibten Baron mittleren Alters und mit zurückweichendem Haarkranz, der seine restlichen Locken nach Brutus-Art frisiert hatte.
    »Was für ein Vergnügen, dass Sie unsere kleine Versammlung heute Nachmittag beehren, Contessa«, verkündete der Mann.
    »Ich hoffe, ich war nicht zu kühn mit meiner Bitte, einem Ihrer Vorträge beiwohnen zu dürfen.«
    »Nein, nicht im Geringsten, wirklich überhaupt nicht. Wir schätzen uns immer glücklich, Menschen in unseren Reihen zu wissen, die ernsthaft an Gelehrsamkeit interessiert sind.«
    Sofia hoffte inständig, dass Lynsley nicht schon längst irgendein Gerücht über ihre verborgenen Kenntnisse in Altertumswissenschaften gestreut hatte, denn sie mühte sich immer noch mit dem Unterschied zwischen aurelischen und oktavianischen Stilelementen ab. »Ich gestehe, dass ich kaum mehr als eine Anfängerin bin, aber begierig darauf, mehr zu lernen.« Sie hielt inne und seufzte hörbar. »Mein verstorbener Ehemann war ein Kenner der römischen Skulptur, und er hat seine Leidenschaft auf mich übertragen. Nur zu gern möchte ich mit seiner Sammlung vertrauter werden.«
    Der Baron lächelte wahrhaft dionysisch. »Das ist überaus lobenswert! Ich würde mich glücklich schätzen, Sie privat unterrichten zu dürfen, wann immer Sie es wünschen.«
    »Sehr freundlich.« Sie warf ihm einen versteinerten Blick zu, der ihn in Sekundenschnelle ernüchterte.
    »Und dann ist da natürlich noch unsere Gesprächsreihe über ...«
    »Ähm.« Der Gentleman am Pult hatte sich geräuspert und raschelte mit den Papieren. »Bitte, wenn Sie alle Platz nehmen würden, würde ich gern mit ein paar Worten zu den frühen Jahren des Augustus beginnen ...«
    Die Rede setzte sich beinahe über eine Stunde lang fort. Sofia hatte Mühe, die detaillierten Ausführungen über stilistische Feinheiten zu verstehen, und bemerkte, dass ihre Aufmerksamkeit abschweifte. Die ältliche Lady in wallender weißer Seide und dem goldenen Kopfputz aus künstlichem Lorbeer musste die exzentrische Witwe Marchioness of Muirfield sein, eine Lady, die behauptete, mit dem Geist der Kleopatra in Verbindung zu stehen. Dass man über diese Merkwürdigkeit hinwegsah, lag einerseits an ihren großzügigen finanziellen Zuwendungen an die Gesellschaft und andererseits daran, dass man ihre Essays über römische Gartengestaltung für ausgesprochen erhellend hielt.
    An ihrer linken Seite saß ein kraftloser junger Mann mit hohem Kragen und aufwendig geknotetem Halstuch. Die Falten des Knotens, die wie ein schäumender Wasserfall nach unten zu stürzen schienen, passten zu den kunstvollen Locken seines langen Haares. Bestimmt handelte es sich um den Poeten Bryce Beecham, das enfant terrible, dessen Übersetzung der Aenaeis ihn zur Sensation der literarischen Welt gemacht hatte.
    Sofia

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