Die scharlachrote Spionin
die Augen und zwang sich, nicht an solche Dinge zu denken. Für ihn war es nicht ungewöhnlich, seinen Geliebten auch Freundschaft zu schenken; ihm war klar, dass es seinen Charme nur noch steigerte. Bis jetzt hatte er niemals das Bedürfnis verspürt, mehr daraus werden zu lassen. Ein Bedürfnis, das ihn ängstigte.
Ein wildes, verzweifeltes Lachen entrang sich seiner Kehle. Es dauerte nur eine Sekunde; es schützte ihn vor dem Unbekannten. Der Gedanke, sich vollkommen hinzugeben, erschreckte ihn. Vielleicht lag es daran, dass es ihn zwang, tief in seine eigene Seele zu blicken; denn er war sich nicht sicher, dass es ihm gefallen würde, was er dort zu sehen bekam. Allen anderen Menschen gefiel er, weil sie nur die Oberfläche anschauten, die gute Laune, die witzigen Wortwechsel.
Seine dunkle Seite, seine Zweifel, hatte er mit keinem anderen Menschen je geteilt.
»Deverill!« Sofias heiseres Flehen riss ihn aus seinen Grübeleien.
Später war genügend Zeit, in sich zu gehen. Waffenstillstand. Mit seinen eigenen Dämonen, den eigenen Zweifeln. In diesem Moment wollte er nichts anderes, als mit ganzem Herzen in diese merkwürdige Alchimie eintauchen, die das Schicksal zwischen ihnen geschmiedet hatte.
Vielleicht ist ja doch alles nur Katzengold. Aber in diesen Sekunden fühlte es sich ungemein echt an.
»Gleich zerspringe ich in tausend Stücke«, stöhnte Sofia. Ihre Augen glitzerten im flackernden Kerzenschein.
»Halt mich fest, Sofia!«, raunte er in ihr Haar, »ich fange dich auf ...«
Sie klammerte sich an seine Schultern, und ihre schwarzen Locken fielen über seine Brust wie ein seidenweicher mitternächtlicher Regenschauer. Osborne hob die Hüften vom Steinfußboden und drängte sich an sie, verlangte ebenso nach ihr wie sie nach ihm. Sofia ritt ihn schnell und hart, trieb ihn beinahe in den Wahnsinn, sodass sein Herz sich beinahe zu überschlagen drohte.
Ein letztes Mal hob und senkte sie die Hüften, und in ihrem Crescendo spürte Osborne, wie die Anspannung sich zitternd löste. Er hörte ihre stumme Verwunderung und seine eigene Stimme, die in einen heiseren Jubel ausbrach.
Irgendwie blieb doch ein kleines Fünkchen Verstand erhalten, der es ihm erlaubte, sich in letzter Sekunde zurückzuziehen. Er rollte sich auf die Seite, verkrampfte sich, hob und senkte den Brustkorb, während er sich auf der Wolle seines Mantels verströmte.
Ein letzter Tropfen seines Samens perlte an seinem Schaft entlang; eine blasse Erinnerung an das, was sie miteinander verbunden hatte. Zwei Körper, die sich zu einem vereint hatten.
»Carissimo ...« Sofia berührte ihn, streichelte seine Schultern, seinen Nacken, den Rücken.
Osborne drehte sich wieder zurück und küsste sie zart auf die Stirn, bevor er sie in die Arme zog. Das Mondlicht tanzte über ihre verschwitzten Leiber. Er schloss die Augen und wurde sich plötzlich bewusst, dass er noch nie in seinem Leben einen solch tiefen Frieden empfunden hatte.
Es war überwältigend.
Und beängstigend.
Sofia flüsterte ein paar Worte, eine verführerische Mischung aus Englisch und Italienisch, die ihn im Ohr kitzelten.
Lüge und Wahrheit. Wer war sie, diese Lady, die nicht nur kostspielige Tabaksdosen stahl, sondern auch noch sein Herz?
So viele Fragen, so viele Geheimnisse. Aber all das konnte bis morgen warten. Jetzt wollte Osborne nichts anderes als den flüchtigen Zauber dieser mitternächtlichen Stunden genießen.
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15. Kapitel
S ofia erwachte vom Regen, der auf die Scheibe trommelte. Oder war es doch nur ihr pochendes Herz? Sie drehte sich auf dem Mantel, nur um festzustellen, dass sie sich mit dem Rücken an Osbornes Brust geschmiegt hatte.
Die Vertraulichkeit fühlte sich merkwürdig tröstend an. Als ob das irgendeinen Sinn ergab. Ehrlich gesagt, wusste sie noch nicht einmal, ob sie überhaupt einen klaren Gedanken fassen konnte. Hatte sich nun alles verändert? Oder gar nichts? Jeder Zoll ihres Körpers fühlte sich vollkommen anders an. Sie war keine Jungfrau mehr, sondern eine ...
Ich bin ein Merlin. Mit einer schwierigen Mission, die sie zu Ende führen musste. Sie bewegte ihre schmerzenden Knöchel. Nicht, dass sie innerlich zur Ordnung gerufen werden musste, um sich daran zu erinnern, welchen Gefahren sie ins Auge zu blicken hatte.
»Du bist wach, stimmt's?« Die Morgendämmerung machte sich eben erst daran, den Nachthimmel zu vertreiben; Osbornes Miene erschien
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