Die Schatten der Vergangenheit
Sandpapier. Ich vermutete, dass auch er nach meinem Puls fühlte, um sich zu vergewissern, dass ich kein Geist war oder ein Traumgespinst.
»Sie haben dich in den Kopf geschossen«, sagte ich. »Ich habe dich sterben sehen.«
Wieder verfielen wir in Schweigen und dachten darüber nach, wie das für den jeweils anderen gewesen sein musste. Beide waren wir gefoltert worden, aber nichts ließ sich mit der Qual vergleichen, einander zu verlieren. Ashers Augen wanderten über mein Gesicht, und so, wie er auf jedem Gesichtszug verweilte, kam es mir wie eine Berührung vor. Bald schon folgten seine Finger, fuhren hauchzart über meine Haut. Die Erleichterung darüber, ihn bei mir zu haben, wurde von etwas Leidenschaftlicherem abgelöst, und mein Herz schlug schneller.
Ich hab dich so vermisst.
Einen Augenblick lang befürchtete ich, er könnte meine Gedanken nicht hören. Bei allem, was vorgefallen war, bestand da unser Bund überhaupt noch? Fast schien es zu viel verlangt, das zu hoffen.
Asher lächelte. »Du hast ja keine Ahnung, wie schön es ist, dich wieder zu hören.«
Er rollte sich auf den Rücken, und ich stützte mich auf die Ellbogen, damit ich ihm ins Gesicht sehen konnte. Über seinem Wangenknochen war eine Schnittwunde verblieben. Ich legte einen Finger darauf und schloss die Augen. Das Summen begann, und Asher wurde ganz still, während ich die Verletzung heilte. Ich wünschte, die Erinnerungen würden ebenso schnell verblassen, aber ich wusste, das war unmöglich.
Ich schlug die Augen wieder auf. Asher sah mich sorgenvoll an, während sich auf meinem Wangenknochen seine Schnittwunde zu entwickeln begann.
»Du hast mich geheilt?«
Er fand es schrecklich, dass ich seine Wunden übernahm. Auf der Suche nach Zeugnissen seiner anderen Verletzungen wanderte sein Blick über mich hinweg.
Ich nickte. »Gabriel hat mir geholfen.«
Asher lächelte reumütig. »Weiß gar nicht, wie ich mich bei ihm je dafür revanchieren kann. Was er gestern Abend getan hat … und du …« Er schüttelte mich ein wenig. »Einfach so in ein Haus mit fünf Beschützern zu marschieren. Was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht?«
Ich schmiegte mich an seine Brust. »Na ja, Gabriel und ich hatten ja einen Plan.«
Asher schlang seine Arme um mich, und ich erschauerte wohlig. Wie hatte ich das vermisst. Hatte seine Berührung vermisst, hatte vermisst, ja, fast vergessen, wie lebendig ich mich dabei fühlte.
»Ihr hattet einen Plan?«, fragte Asher zweifelnd. »Und dabei zu Tode zu kommen, war ein Teil davon? Denn genau darauf scheint ihr es abgesehen zu haben!«
Ich konnte dem Drang nicht widerstehen, ihn auf dienackte Brust zu küssen. »Hab ja nicht behauptet, dass es ein guter Plan war. Aber, hey, er hat funktioniert. Daran lässt sich nicht rütteln, hm?«
»Nein, ich schätze nicht.«
Seine Hand glitt von meinem Schulterblatt zu meiner Taille, und mir stockte der Atem.
Ich liebte ihn so sehr, dass ich gegen einen neuen Tränenansturm die Augen zukneifen musste. In diesem Augenblick beschloss ich, dass ich jeden Moment mit ihm genießen würde. Jede Sekunde, die ich ihn für tot gehalten hatte, war einsam und beängstigend gewesen. Es war ein Geschenk, ihn zurückzubekommen. Ich würde nicht zulassen, dass Angst noch länger mein Leben bestimmte.
»Hey«, flüsterte Asher. Ich hob den Kopf. »Ich liebe dich. Ich möchte auch keine Angst mehr haben.« Mein Haar fiel nach vorne und strich über sein Gesicht. Er hielt seine Nase hinein und atmete tief ein. »Ich habe die ganze Zeit von dir geträumt, aber jedes Mal, wenn ich mich an deinen Geruch zu erinnern versuchte, versagte meine Fantasie. Ich habe mich so danach gesehnt.«
Seine grünen Augen glühten, und ich sagte: »Asher?«
Die Hand auf meinem Rücken wanderte tiefer. »Hm?«
»Küss mich endlich!«
Er tat es, und es war, als wäre ich endlich heimgekommen.
Bis zu Gabriels Rückkehr hatten wir beide uns schon geduscht und angezogen. Wir saßen auf dem kleinen Sofa, unterhielten uns über Belanglosigkeiten und mieden schwierigere Themen. Keiner von uns fühlte sich bereit, sich dem, was vor uns lag,zu stellen oder darüber zu reden, was in den Wochen unserer Trennung geschehen war. Ich hatte meinen Schutzwall hochgefahren, um ein bisschen mehr für mich sein zu können, und Asher hatte es nicht erwähnt. Gabriels Blick blieb an unseren Gesichtern hängen und fiel dann auf unsere ineinander verschlungenen Hände. Rasch drehte er sich weg, doch zuvor hatte
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