Die Schatten der Vergangenheit
auf, als ich ihre Hand nach einem letzten Drücken losließ. Die Funken sind lila, dachte ich. Wie die meiner Großmutter.
Meine Knochen brachen, und auf meiner Stirn öffnete sich eine klaffende Wunde. Um nicht zu schreien, biss ich mir auf die Lippen, bis sie bluteten. Schwer atmend rollte ich mich auf den Rücken und bemühte mich um Ruhe, während mich alle im Raum anstarrten, als käme ich von einem anderen Planeten.
So, jetzt sitzt du in der Patsche, dachte ich.
Eine Hand drückte mir einen Lappen auf die Stirn. Jemand hatte meinem Großvater als Kompressenersatz ein Geschirrtuch gereicht.
»Remy?«
Franc klang verängstigt, seine tiefe Stimme grollte wie ein Sommerdonner. Ich wollte ihn beruhigend anlächeln, aber jemand stieß an mein Bein, und ich hätte mir vor Schmerzen beinahe die Zunge abgebissen.
»Gott, was geschieht mit dir?«, fragte mein Großvater und wollte mich anfassen. Doch knapp über mir zögerte er, als könne er sich nicht überwinden, es zu tun.
Na, super, dachte ich. Wieder einmal beweise ich, dass ich ein Freak bin. Reiß dich zusammen, verdammt noch mal!
»Es geht gleich wieder«, sagte ich. »Gib mir eine Minute.«
Ich schloss die Augen, um die neugierigen Blicke von Delia, Alcais, Erin, meinem Großvater und dem Fahrer, der sich inzwischen zu uns gesellt hatte, nicht mehr ertragen zu müssen. Blendete alles aus und konzentrierte mich auf meinen Heilungsprozess. Zusammen mit Asher, der mir etwas von seiner Energie hätte leihen können, wäre es um so vieles einfacher gewesen. Die Heilung Chrissys hatte mich fast all meine Energie gekostet. Ich kratzte meine restlichen Kräfte zusammen und nahm mir die gebrochenen Knochen vor. Ich fühlte, wie die Brüche langsam, ganz langsam heilten. Die pochenden Schmerzen ließen allmählich nach. Mit meiner Stirn befasste ich mich gar nicht erst. So schlimm war die Verletzung nicht, und mir war der Saft ausgegangen.
Ich lag da und rang nach Atem, während der für mich nach Heilungen typische Schüttelfrost einsetzte. Um ehrlich zu sein, drehte ich mich weg, um mich der Angst, die sich nun in den Augen meines Großvaters zeigen würde, nicht aussetzen zu müssen. Jetzt wussten sie endgültig, dass ich mich von den anderen Heilerinnen unterschied. Es gab kein Zurück mehr!
Eine warme Hand fuhr sanft meinen Arm entlang. In mir kroch die Gier hoch, und ich riss die Augen auf. Hastig zog ich alle Mauern nach oben, um das Ungeheuer zu bändigen, das an meiner Abwehr rüttelte und schüttelte. Wo es bei Chrissy einfacher zu beherrschen gewesen war, widersetzte es sich bei Erin stärker, da es ihre größere Macht spürte. Sie kniete mit angespannter Miene neben mir und sah mich fragend an. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was sie vorhatte. Sie wollte die Kopfwunde heilen, zu der ich nicht mehr gekommen war.
Ich hatte mich so weit wieder unter Kontrolle und nickte zögernd. Erin furchte konzentriert die Stirn, und da, wo siemich berührte, durchfuhr mich Hitze. Sie steuerte geradewegs auf meine Kopfwunde zu. Es tat zwar nicht weh, aber sonderlich angenehm war es auch nicht. Am ehesten konnte man es mit dem Gefühl vergleichen, wenn man einen Stromschlag durch statische Aufladung abbekam, allerdings in zehnfach potenzierter Form. Fühlte es sich für andere so an, wenn ich sie heilte?
Die Schnittwunde an meinem Kopf schloss sich, und Erin nahm ihre Hand weg. Das Ungeheuer in mir verkroch sich, und ich hätte vor Erleichterung am liebsten geweint. Wieder setzte der Schüttelfrost ein, und ich fragte mich, wie ich das alles erklären sollte.
Mein Großvater drückte mein Kinn in seine Richtung, seine buschigen weißen Augenbrauen trafen sich zu einem strengen, finsteren Blick. Damit nur ich seinen Vorwurf hören konnte, senkte er seine Stimme.
»Du hast mir da so einiges verschwiegen, meine liebe Enkeltochter!«
Ich merkte, dass ich den ganzen Teppich vollgeblutet hatte. Außerdem musste jemand eine Telefonorgie veranstaltet haben, um so viele Heiler wie möglich herzubestellen.
Irritiert von dem wachsenden Besucherstrom, schlug Erins Mom vor, mich in die Küche zu bringen. Mein Großvater konnte sich nicht entscheiden, ob er mich tragen oder mir Glauben schenken sollte, dass ich es allein dorthin schaffte. Die Folge war, dass er sich mir alle zwei Schritte in den Weg stellte und ich mir ständig »Alles okay mit dir?« anhören musste. Eine nächste Schüttelfrostattacke erfasste mich, under legte mir einen Arm um die Schulter
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