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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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fürchteten. Möglicherweise handelte es sich auch gar nicht um ein selbstbestimmt handelndes Wesen, sondern vielmehr um ein Produkt ihrer Zivilisation.
    Obwohl Martin überzeugt davon war, daß sie ihm nichts Böses wollten, fürchtete er die Begegnung ebenso, wie er sie herbeisehnte.
    Was, wenn dieses Geschöpf ihm ein Bild von sich selbst offenbarte, das er nicht zu ertragen vermochte? Wenn der Chanan doch eine Art Gottheit war, vielleicht der einzige Gott, der tatsächlich existierte? Wohin konnte er dann noch fliehen, und wozu überhaupt, wenn keine Hoffnung mehr blieb?
    Martin wußte es nicht, und er mochte auch nicht über eine Situation nachdenken, von der er im Grunde seines Herzens überzeugt war, daß sie nicht eintreten würde. Dennoch mußte er sich über seine Hoffnungen, Zweifel und Befürchtungen klar werden, bevor er dem Chanan gegenübertrat. Nicht, um ihn in irgendeiner Form zu beeinflussen, sondern um seiner selbst willen.
    Es war ganz sicher kein Zufall, daß sie ihn nicht unvorbereitet mit dem Chanan konfrontiert hatten, was durchaus in ihrer Macht gestanden hätte. Nein, sie hatten die Entscheidung ganz bewußt in sein Ermessen gestellt und gleichzeitig dafür gesorgt, daß ihm Zeit blieb, sie zu überdenken.
    Und sie hatten in gewissem Sinne recht behalten, denn je länger Martin unterwegs war, um so mehr wuchsen die Zweifel am Sinn seines Unterfangens. Welche Art Hilfe war überhaupt von einem Geschöpf zu erwarten, das Teil einer ebenso alten wie fremdartigen Zivilisation war?
    Auch darauf wußte Martin keine Antwort, dennoch ging er weiter. Vielleicht, weil er ahnte, daß die Auseinandersetzung mit diesen Zweifeln bereits Teil jener Prüfung war, der er sich zu stellen hatte ...
    Nach einer weiteren Stunde Fußmarsch trennten sich Straße und Flußtal. Die Bautrupps hatten eine Schneise in den Hang gesprengt, durch die die Straße schnurgerade in Richtung Westen verlief. Wenn Martin jetzt geradeaus weiterging, konnte er noch vor Einbruch der Dunkelheit in der Stadt sein. Er könnte bei Bekannten übernachten, die sich über seinen Besuch freuen würden, und morgen all die Besorgungen erledigen, die er schon viel zu lange aufgeschoben hatte. Die Versuchung war groß, aber nicht groß genug, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen.
    Die Spuren, denen er folgen würde, waren zwar längst nicht so deutlich wie die Abdrücke der Ballonreifen, aber man konnte sie erkennen, wenn man genügend Erfahrung besaß. Wahrscheinlich hätte Martin Meropes Führung gar nicht mehr bedurft, denn er sah den weit geschwungenen Bogen ganz deutlich vor sich, dem der Fluß an dieser Stelle folgte.
    Allmählich änderte sich die Beschaffenheit des Untergrundes. Das Gelände wurde unwegsamer, und sie mußten immer wieder Bergen von Geröll oder einzelnen Felsblöcken ausweichen, die von den zerklüfteten Hängen ins Tal gestürzt waren. Die Schlucht wurde schmaler und nahm immer mehr den Charakter eines Cañons an, wie er für die Nebenarme der Valles typisch war.
    Obwohl das Flußbett kein nennenswertes Gefälle aufwies, türmten sich die Wände des Cañons bald zu schwindelerregender Höhe, was Martin allerdings erst bewußt wurde, als er an einer besonders engen Stelle in deren Schatten eintrat.
    In der Dämmerung, die sie plötzlich umfing, lag bereits eine Ahnung der bevorstehenden Nacht. Martins Blick glitt die fast senkrechten Felswände hinauf zu dem schmalen Streifen Himmel, der in unerreichbare Ferne gerückt schien. Noch erreichten die rosafarbenen Strahlen der Nachmittagssonne den Grund der Schlucht, aber sie würden die Dunkelheit nicht lange aufhalten können, die schon jetzt mit kühlen Schattenfingern nach den Eindringlingen griff.
    Das Boot lag in einer dieser Schattenzonen unter einem Felsvorsprung. Martin hätte es wohl übersehen, wenn Taygeta nicht mißtrauisch schnüffelnd stehengeblieben wäre.
    »Was ist denn, Tay?« erkundigte sich Martin halb im Scherz, dann sah er es und blieb wie vom Schlag gerührt stehen. Es war eines ihrer Boote, davon war er vom ersten Augenblick an überzeugt, auch wenn es weder Mast noch Ruder besaß und auf der Bugseite leck geschlagen war.
    Es war eines ihrer Boote, und Martin starrte es mit jener Mischung aus ungläubigem Staunen und trotziger Genugtuung an, zu der sonst nur Kinder fähig sind.
    Ich hab doch gewußt, daß sie hier sind, die gläserne Stadt, der Fluß und die Boote im Hafen, dachte der kleine Junge, zu dem er in diesem Moment wieder geworden war.

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