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Die Schatten eines Sommers

Die Schatten eines Sommers

Titel: Die Schatten eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Norden
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es ihr auch recht gewesen …
    Schluss jetzt! Die beiden würden nicht kommen. Auf keinen Fall! Dennoch hatten sie es mühelos geschafft, mich erneut zu manipulieren: Denn im Grunde trug ich diesen Rock und die hochhackigen Schuhe, dieses schicke, sexy Outfit, das nicht wirklich auf eine Beerdigung passte, nur für sie. Die Erklärung war so schlicht, dass es eigentlich zum Heulen war: Ich wollte damit demonstrieren, dass ich keine graue Maus mehr war. Dass ich mich nicht mehr hinter den beiden verstecken musste: der schönen, selbstbewussten Hanna und der klugen, charismatischen Fabienne. Ich bin jetzt auch wer!, schrie mein Outfit. Wie jämmerlich …
    Ich warf einen Blick auf die Uhr. Schon halb fünf! Himmel, warum hatte ich meiner Mutter nur versprochen, zum Kaffee bei ihr zu sein? So blieb doch viel zu viel Zeit bis zum Schlafengehen. Zeit, die Mama wie üblich dazu nutzen würde, mir wieder einmal klarzumachen, wie mittelmäßig mein eigenes Leben war im Vergleich zum Dasein der göttlichen Katharina. Auch deswegen hatte ich diese Kaffeepause eingelegt: Um der Konfrontation mit meiner Mutter noch ein Weilchen zu entgehen. Aber es half ja doch nichts. Ich drückte meine Zigarette aus und erhob mich. Mit den Besuchen in Beerenbök war es wie mit Zahnbehandlungen: Je länger ich sie hinausschob, umso massiver wuchs die Furcht davor. Mit dem Unterschied, dass die Zahnbehandlungen dann meistens gar nicht so schlimm waren wie erwartet.
    Ich stieg ins Auto, zog die Tür hinter mir zu – und blieb dann einfach sitzen. Reglos. Starr. Warum hatte ich mich von Thomas nur dazu überreden lassen, doch zu Dorits Beerdigung zu fahren? Hätte ich mir das nicht ersparen können? Wenn ich ehrlich war, scheute ich mich ein bisschen, Thomas’ Bild von mir anzukratzen: das Gutmensch-Bild, das Idealbild einer lieben Freundin. Treu bis in den Tod. Fast musste ich lachen. Wenn Thomas die Wahrheit kennen würde …

[zur Inhaltsübersicht]
    FABIENNE
    Bei Tante Hiltrud in der Küche, deren niedriges Fenster nach Norden ging, war es angenehm kühl. Die Hitze des Tages hatte an den dicken, roten Backsteinmauern haltgemacht. Draußen auf dem Asphalthof flimmerte die Luft über dem Grau, und dicke Brummer ploppten gegen die Fensterscheibe, als wollten sie vor der Wärme ins Haus fliehen.
    «Ich hab uns Bier kalt gestellt, Fabienne», sagte Tante Hiltrud, während sie den Tisch für das Abendbrot deckte. Es gab Schwarzbrot mit praktischem Scheiblettenkäse, säuerliche Silberzwiebeln, Tomaten und Radieschen aus dem Garten, dazu Bier aus der Bügelflasche. Wir saßen an dem grau gesprenkelten Resopaltisch in der Küche, an dem ich schon vor mehr als drei Jahrzehnten zu Mittag gegessen hatte, wenn meine Eltern auf einer ihrer Geschäftsreisen gewesen waren. Genau wie früher wurde die gute Stube erst bei Mahlzeiten ab vier Personen geöffnet.
    Während sie mit kräftigen Kiefern kaute, erzählte mir meine Tante das Neueste aus ihrem Leben, in dem seit Jahren nichts Neues passierte. Aber ich hörte nicht wirklich zu. Ich nickte nur ab und zu bestätigend mit dem Kopf, schüttelte ihn hin und wieder ungläubig und hing den Rest der Zeit meinen eigenen Gedanken nach. Man lernt so etwas in meinem Beruf. Man lernt, so lange den einzelnen Sätzen auszuweichen, bis ein Reizwort kommt, ein Stichwort, eine Geste oder Mimik, die eine konkrete Antwort erfordern.
    Nachdem Tante Hiltrud ihre Wehwehchen und ihren Ärger mit der Nachbarin abgehakt hatte, wurde ihre Stimme eine Spur leiser. Denn jetzt ging es um den Tod von Dorit, der armen Dorit. Aber auch davon wollte ich nichts wissen. Ich wollte keine Einzelheiten hören, keinen Tratsch und keine Gerüchte. Die Hälfte davon würde sowieso nicht stimmen. Aber es gelang mir nicht mehr, mich in meine Gedanken zu flüchten. Ich schaffte es nicht. Ich musste mir alles anhören. Jedes Detail, das in und um Beerenbök in den letzten Tagen die Runde gemacht hatte.
    Ein Urlauber hatte Dorit gefunden – einer aus dem Osten, wie Tante Hiltrud in einem Tonfall sagte, als wäre der Mann deshalb per se verdächtig. «Am Lupiner See, du weißt schon, wo, Fabienne. Ertrunken. Ach Gott, o Gott. Sie hatte alles noch an, ihr Kleid, ihre Unterwäsche, nur ihre Schuhe nicht.» Tante Hiltrud senkte ihre Stimme noch ein bisschen und legte ihre sehnige, fleckige Hand auf meine. «Vielleicht hat er ihr die Sachen wieder angezogen …»
    Ich ließ meine Hand eine knappe halbe Sekunde liegen. «Wen meinst du?», fragte ich und

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