Die Schatten schlafen nur
kämpften.
Bisher hatte sich die Presse nicht zu den Vorfällen rund um das Aussiedlerheim im Dorf geäußert, aber ein solches Husarenstück konnte sie sich selbstverständlich nicht entgehen lassen. Die Niederrhein Post war das einzige Blatt, das auf jedes Augenzwinkern verzichtete, den letzten Vorfall als weitere Spielart der Fremdenhasses in diesem Lande darstellte und sich auf eigene Art betroffen äußerte.
Als das KK 11 sich am Montagmorgen im Präsidium zusammensetzte, hatten bis auf van Appeldorn alle den Artikel schon gelesen. Astrid, die inzwischen tatsächlich die Tageszeitung mit zur Arbeit nahm, hielt ihm das heutige Exemplar hin. »Ich bin sicher, du wirst deine helle Freude haben.«
Es handelte sich um ein Interview mit dem Ehepaar Schlüter: Frau Schlüter, die sich ohne Unterlass über so viele Jahre schon für Einwanderer einsetzte, nicht nur als Schriftführerin des ehrenwerten Meile-Vereins, sondern ganz persönlich, ein guter Mensch, der über so viel Ablehnung und Hass weinen musste; der selbstlose Anwalt Bruno Schlüter, der sich schon immer ganz besonders für die Belange ausländischer Mitbürger eingesetzt hatte und der bei Honorarfragen in besonderen Fällen gern mal beide Augen zudrückte. Mit Bedacht hatten sie sich ihren Alterswohnsitz in eben diesem Dorf gewählt und wurden nun so bitter enttäuscht. Dabei opferten sie doch beide ihr Privatvermögen für eine bessere Welt.
»Zum Kotzen!« Van Appeldorn knallte die Zeitung auf den Tisch. »Nebenbei auch noch kostenlose Werbung für die Kanzlei. Sogar die Adresse steht drin.«
Toppe hatte geduldig gewartet. »Ich denke mir das so«, meinte er jetzt. »Astrid und du fahrt erst mal zum alten von Bahlow. Mich interessiert, warum der sich damals als Großgrundbesitzer mit so wenig Land in Nierswalde zufrieden gegeben hat. Und dann will ich wissen, wie der mit einem relativ kleinen Betrieb so viel Geld machen konnte, dass ihm heute das halbe Dorf gehört. Irgendwas stimmt nicht mit dem Mann …«
»Wieder Intuition?« In Cox’ Frage schwang deutlich Ironie mit. Keiner antwortete und er räusperte sich unbehaglich. »Ernsthaft, ich verstehe wirklich nicht, was von Bahlows Geschichte mit unserem Mord zu tun hat.«
»Vielleicht gar nichts«, sagte Toppe. »Auf jeden Fall ist er einer der Ältesten im Dorf. Fangt also mit Opitz an. Befragt ihn zu diesem Mann. Schließlich muss er den von Kindesbeinen an gekannt haben. Und noch was: Fragt von Bahlow und dessen Familie, ob sie keine Zeitung haben. Wenn doch, möchte ich wissen, warum sie Opitz nicht identifizieren konnten. Peter und ich werden Frau Tessel einen Besuch abstatten. Wir treffen uns alle wieder gegen elf auf dem Dorfplatz und klappern dann die Leute von der Pastorenliste ab. Fragen: Wann ist das Fundament gegossen worden? Wer hat es gegossen? Was war an den Tagen vorher? Was hat Opitz in der Zeit getrieben? Wer hatte Kontakt zu ihm?«
»Peter, bitte!«, flehte Toppe. »Ich habe Frau und Kind … Frauen und Kinder, und irgendwie häng ich auch selbst am Leben.«
Aber Peter Cox nahm den nächsten Buckel auf der Dr- Engels-Straße mit unverminderter Geschwindigkeit und Toppe knallte mit dem Kopf gegen die Nackenstütze.
»Keine Sorge, ich bin früher Rallye gefahren.« Die Kurve fuhr er in Ideallinie aus.
Toppe schloss die Augen.
»Aber wenn es dich nervös macht.« Endlich nahm Cox den Fuß vom Gas. »Ich hab Spaß dran.«
»Rallyefahrer«, meinte Toppe kopfschüttelnd. »Rausschmeißer in Discos warst du auch mal, hab ich gehört.«
»Irgendwie musste ich mein Hobby ja finanzieren, andauernd neue Autos. Aber die wilden Jahre sind vorbei.«
»Ach ja?«
»Ja, wirklich. Privat bin ich immer schon nur Bus und Bahn gefahren. Ein Auto für jeden Tag habe ich mir erst zugelegt, als ich nach Kleve gekommen bin. Ohne ist man hier ja aufgeschmissen, leider. Sag mal, hast du den Schlüssel?«
»Den zum Schuppen? Ja, hab ich. Ich wollte mir Opitz’ Nachlass auch gern anschauen, bevor wir zu Frau Tessel gehen.«
Der Schuppen war eine Miniaturausgabe des Siedlungshauses Typ I, das Toppe aus Heinrichs’ Buch kannte, spitzgiebelig, schindelgedeckt und verputzt. Es gab nur einen Raum mit einer Holztür an der Frontseite und einem einflügeligen Fenster nach hinten.
Modergeruch schlug ihnen entgegen, als sie die Tür öffneten. Es herrschte ein Durcheinander von lieblos gestapelten Möbelstücken, Koffern und Kartons, dazwischen Lampenschirme, gerollte Teppiche, Bilder und
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