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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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wie Fegan damals, als sein Vater betrunken die Treppe hinuntergefallen war.
    Fegan beendete seine Mitleidsbekundungen und wandte sich ab. Er konnte es kaum erwarten, diesen von der Trauer gezeichneten Gesichtern zu entfliehen, aber Caffolas Freundin hielt ihn am Handgelenk fest.
    »Keiner unternimmt irgendwas«, sagte sie. »Weder die Partei noch die Polizei - keiner!«
    Fegan versuchte sich freizumachen, aber sie ließ ihn nicht los.
    »Allen ist es egal«, flüsterte sie. »Hauptsache, er ist tot und unter der Erde. Kein Schwein interessiert sich dafür, wer es getan hat. Das ist einfach nicht richtig, Gerry.«
    Er entwand sich gewaltsam ihrem Griff und machte einen Schritt zurück. »Es tut mir leid«, sagte er.
    »Es ist einfach nicht richtig«, wiederholte sie, während Fegan ihr schon den Rücken zukehrte und wegging.

In Caffolas Haus war es zwar nicht ganz so voll wie zuvor in dem von McKennas Mutter, trotzdem kam man nur mit Mühe durch. Fegan zwängte sich nach oben vor, um den Leichnam zu sehen. Die Trauernden machten respektvoll Platz und ließen ihn durch. Wie McKennas Sarg war auch der von Caffola bescheiden, allerdings wohl eher aus finanziellen Gründen als um des Eindrucks willen. Fegan bekreuzigte sich, kniete sich aber nicht zum Gebet hin. Fürs Erste hatte er genug von Gott. Stattdessen umkreiste er den Sarg. Die Bestatter hatten ganze Arbeit geleistet und die Wunde auf der Schläfe des Dahingeschiedenen gut kaschiert.
    Fegan dachte an Marie und wie sie vor McKennas Sarg stehengeblieben war. »Du hast es nicht anders verdient«, flüsterte er sich selbst zu.
    Plötzlich wurde es still im Zimmer, und als Fegan aufsah, wusste er schon, wen er sehen würde. »Hallo, Gerry«, sagte McGinty. Fegan nickte.
    McGinty wandte sich an die anderen im Raum: »Kann ich ein paar Minuten mit meinem Freund allein sprechen?«
    Das Zimmer leerte sich schnell, bis nur noch Fegan, McGinty, der bleiche Leichnam und die dunkler werdenden Schatten übrig waren. Fegan fixierte den Politiker, der auf der anderen Seite des Sarges stand.
    »Wir haben da ein kleines Problem«, sagte McGinty lächelnd.
    Fegan antwortete nicht. Die Kälte in seinem Körper pulsierte. Unwillkürlich legte er sich eine Hand auf das Herz für den Fall, dass der Politiker das eisige Glühen sehen konnte.
    »Du hast nicht getan, worum ich dich gebeten hatte«, fuhr McGinty fort. »Warum nicht?«
    »Sie ist keine Bedrohung für dich. Es gibt keinen Grund, sie zu beseitigen«, antwortete Fegan und versuchte, die Wut in seiner Stimme zu bezähmen.
    McGinty trat näher heran und legte seine Hände auf den Rand des Sargs. »Wenn ich sie bleiben lasse, sieht das nach Schwäche aus. Ich kann es mir nicht leisten, schwach auszusehen, Gerry. Nicht jetzt. Es steht zu viel auf dem Spiel. Ich bin schon viel großzügiger gewesen, als dieses Mädchen überhaupt verdient. Sie wäre schon längst unter der Erde, wenn ich nicht Michael nachgegeben hätte. Aber meine Toleranz hat Grenzen.«
    Er sah auf den Leichnam hinab. »Ich habe schon viel zu viele Entgleisungen zugelassen. Ich schulde dir eine Menge, Gerry, aber meine Geduld ist langsam am Ende.«
    Fegan ging um den Sarg herum und zur Tür. McGinty trat ihm in den Weg.
    »Ich meine es ernst, Gerry. Treib es nicht zu weit. Wenn du es ihr nicht sagen willst, meinetwegen, aber misch dich nicht ein.«
    Fegan trat zur Seite, aber McGinty packte ihn am Arm, und beide starrten einander an. Dann verzogen sich die dünnen Lippen des Politikers zu einem sanften Lächeln. Er nahm Fegans Kopf in beide Hände, beugte sich vor und gab ihm einen trockenen Kuss auf die Wange.
    »Wir sind immer gute Freunde gewesen«, sagte er. »Schon seit deiner Jugend. Mach das nicht nur für eine Frau kaputt. Nicht für eine Hure wie Marie McKenna.«
    Fegans Wange brannte. Er riss sich los und kam endlich zur Tür. Die Menschen im Flur machten ihm Platz, und er eilte die Treppe hinunter. Unten blieb er wie angewurzelt stehen.
    Davy Campbell nickte ihm zu. Fegan nickte zurück und ignorierte das Knistern in seinen Schläfen und die Schatten, die sich vom Rand aus in sein Gesichtsfeld drängten. Campbell hatte sich verändert, seit Fegan ihn das letzte Mal gesehen hatte. Er war schmaler. Hatte dunkle Ringe um die Augen. Der Tod bleibt an den Menschen haften, deren Handwerk er ist, dachte er, wie Schlachthausgestank. Wahrscheinlich, dachte er weiter, könnten wir uns schon am Geruch erkennen, so wie Hunde Freund und Feind einfach

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