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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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dadurch Unannehmlichkeiten.<«
    Fegan dachte an die Walther. Er konnte sie geradezu fühlen, wie sie da unter dem Bett lag, zusammen mit dem Bündel Geldscheinen in der Schachtel.
    Marie erzählte weiter: »Immer wieder fing er davon an, wie schrecklich es ihm wäre, wenn meinem kleinen Mädchen etwas zustoßen würde, wie entsetzlich er es fände, sollte ihr etwas passieren. Immer wieder hat er mir gesagt, dass ich an Ellen denken und nicht so widerspenstig sein soll. Dass es Leute gibt, die uns etwas antun wollen und man sie vielleicht nicht aufhalten kann, wenn wir bleiben. Und dabei hat er die ganze Zeit ein Gesicht aufgesetzt, als wäre schon mein schierer Anblick eine Beleidigung für seine Augen.«
    Fegan starrte auf seine Hand und spürte geradezu das kühle Gewicht der Waffe in ihr.
    »Stell dir das mal vor!«, empörte sich Marie. »Jetzt schickt McGinty schon Priester, die seine Drohungen weiterleiten. Pater Coulter hat gesagt, er täte mir nur einen Gefallen.«
    »Und was hast du geantwortet?«
    »Erst mal gar nichts. Ich war einfach zu schockiert. Dann habe ich ihm gesagt, er soll sich rausscheren.«
    Fegan hörte ihren Atem an seinem Ohr. »Jetzt werden sie mir bestimmt zusetzen, oder?«
    »Ja«, sagte Fegan. »Sie kommen nach Anbruch der Dunkelheit. Zuerst passiert nichts Schlimmes. Vielleicht schlagen sie nur ein Fenster ein. Beim nächsten Mal nehmen sie dann einen Molotowcocktail oder eine Schrotflinte.«
    »Mein Gott! Und was ist mit Ellen? Ich kann sie doch nicht solchen Sachen aussetzen? Ich habe nicht mal jemanden, zu dem ich sie geben könnte.«
    »Ich komme heute Abend vorbei. Solange ich da bin, unternehmen sie nichts.«
    »Ja, bitte«, bat sie. »Komm.«
    Fegan ballte die freie Hand zur Faust. »Mach dir keine Sorgen. Ich kümmere mich um die Sache.«
    Er verabschiedete sich und beendete das Gespräch. Dann sprang er auf, lief über den Flur und stieg die Treppe hoch. Am Ende des Bettes kniete er sich hin, streckte den Arm aus und zog die Schuhschachtel hervor. Die Schatten versammelten sich um ihn und sahen ihm zu. Als er den Deckel abnahm, stieg ihm wieder der speckige Geruch von Geldscheinen in die Nase, und wieder fragte er sich, wie viel es überhaupt war. Er hatte es nie gezählt. Auf jeden Fall ein paar tausend, vielleicht sogar zehntausend oder mehr. Er hatte es von dem Gehalt abgespart, das er für McGintys Scheinbeschäftigung bei der Stadtentwicklung bezog.
    Eine ganze Weile starrte er nur gebannt auf die unheimlich schimmernde Waffe. Lose Patronen kullerten zwischen dem Geld hin und her wie Mäuse in ihrem Nest.
    »Nein«, sagte er.
    Die drei Briten traten vor, die anderen sechs hielten sich zurück. Dann schob sich die Frau an ihnen vorbei und kniete sich neben Fegan hin. Sic lächelte, als Fegan die Waffe aus ihrem Versteck holte. Kalt und schwer lag sie in seiner Hand.
    »Nein«, sagte Fegan noch einmal. Er legte die Walther wieder zu den Geldscheinen und Patronen. »Nicht Pater Coulter.«
    Aber dann würden sie ihn schlafen lassen. Wenn er ihnen alles gab, was sie wollten, würden sie Ruhe geben und ihn schlafen lassen.
    Die paradiesische Vorstellung, dass er einfach die Augen schließen und nichts mehr hören würde als sein eigenes Atmen, beherrschte ihn vollkommen. Und plötzlich tauchte ein noch schönerer Gedanke auf, einer, der ihm noch nie gekommen war: Er stellte sich vor, wie es wäre, mit dem Kopf auf Marie McKennas Brust einzuschlafen, sich von ihrer Wärme durchdringen lassen, während das Pochen ihres Herzens jedes andere Geräusch übertönte.
    Blinzelnd verscheuchte Fegan den Gedanken. »Nein«, sagte er. Er legte den Deckel auf die Schuhschachtel und schob sie zurück unters Bett.
     
    Die Freundin des verstorbenen Vincent Caffola hatte ein rotes Gesicht und verheulte Augen, als sie Fegans Hand schüttelte. Caffolas zwei Söhne waren vollkommen verwirrt von der ganzen Aufmerksamkeit, die ihnen zuteilwurde. Der ältere kämpfte mit seinen Tränen, der Jüngere ließ ihnen freien Lauf. Beide sahen sie ihrem Vater ähnlich, der Ältere war jetzt schon so groß wie Fegan.
    Er hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch, als er ihnen sein Beileid aussprach. Die Jungen konnten ihm nicht in die Augen sehen, als er sie ansprach. Fegan war froh darüber. Kurz befiel ihn der verrückte Gedanke, die beiden um Vergebung zu bitten. Caffola mochte zwar ein hirnloser Schläger gewesen sein, trotzdem: Für diese Jungen war er der Vater gewesen. Der Jüngere war etwa im gleichen Alter

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