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Die Schatten von La Rochelle

Die Schatten von La Rochelle

Titel: Die Schatten von La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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niedergeschlagen, war etwas, was nur Paul fertigbrachte: Wahrheiten als Entwa f fnung zu verwenden. Inzwischen hatte er sich dazu über w unden, Philippe um eine Auskunft über das zu bitten, was er als Kind im m er nur in Andeutungen gehört hatte. Doch Phili p pe schien si ch ent s chlo s sen zu h ab e n, Vergang e nes ve r gangen sein zu lassen, wenn ihm Paul nicht sogar direkt den Mund verboten hatte, und sein Vater, der ihm g e wiß die W ahrheit erzählt hätte, w a r t o t.
    Aller d ings verhi e lt s i ch Paul in der let z ten Zeit wieder m ehr wie der Bruder, den er in Erinnerung hatte, und seine Scherze blieben m eistens ohne sinistre Untertöne. Doch Raoul konnte nicht vergessen, was Paul über die Herzogin v on Aiguill o n gesagt h a tte. Also hatte er sich entschl o ssen, das Undenkbare zu w agen. Es gab Dinge, über die m a n m it einer D a m e nicht sprach, und gewiß würde sie ihn nie m ehr e m pfangen, a ber auch Céladon, der Held aus Astrée, hatte die lebenslange Verbannung von sei n er Schäferin in Kauf geno mm en, um sie zu retten.
    »So ist es, Mada m e«, begann er, »ich…«
    Er spürte Pauls sardonischen Bli c k, und all die Worte, die er sich zurechtgelegt hatte, flohen und li e ßen sich nicht m ehr einholen.
    »Monsieur d’Irsd m asens«, sagte Marie fre u ndlich, »ich danke Euch, aber ich bin m i r jeder Gefahr bewußt.«
    »Schließlich ist es kein Gehei m nis, daß in den Straßen von Paris bösartige Dinge lauern«, kom m entierte Paul.
    »In der Tat. Und m anches ist s tär k er als anderes . «
    D a m it war Raoul so klug wie vorher. Sprach sie nun nur von Dieben und R ä ubern, oder wußte sie wirklich, was Paul von ihr wollte? Jedes m al, wenn er sich für eine d e r beiden Mö g lichk e iten e ntschied, schien ihm die andere wahrscheinlicher zu sein.
    W i der Erwarten wurde es ein schö n er Tag. Sie gingen in das Universitätsviertel, wo die Sorbonne dank der umfangreichen Geld m ittel, die ihr der Kardinal zur Ver f ügung stellte, dabei war, die alten, viel zu kleinen Hörsäle durch gro ß e Neubauten zu ersetzen. Einige der Vorlesungen fanden daher im Fre i en statt, u nd sie gesellten sich eine Zeitlang einem Kreis von S tudenten zu, deren Dozent über Abaelard und den No m i nalis m us sprach.
    Danach kaufte ihnen Paul wegen der Kälte etwas Glühwein in einer Schenke, und Raoul fühlte sich n i c h t im m indesten ausgeschlossen, im Gegenteil, er b et e ili g te sich an der lebhaften Diskussion zwischen der Da m e seines Herzens und sei n em Bruder und stellte irgendwann überrascht f est, daß er glücklich w a r. In Gesellschaft zweier Me n schen zu sein, die er bewunderte was gab es Schöneres?
    Der erste Schatten fiel auf sein G l ück, als Paul sagte: »Ihr schuldet m ir noch einen Disput, Marie.«
    Der beiläufige Gebrauch ihres Vorna m ens ärgerte Raoul etwas, aber was ihn noch m ehr verstörte, w a r d e r v e rä n derte Tonfall. In dieser Art hatte Paul, kurz bevor sie von den Briganten überfallen wurden, gesagt: Vielleicht können wir deiner Muse zu einem neuen Gewand verhelfen.
    Sie hatte es eben f alls be m erkt. »Und wer ist der Philoso p h Eurer Wahl ? «
    »Kein Philosoph, noch nicht ein m al ein Atheist, Mada m e. Seid Ihr m it den englischen Dichtern vertraut? Man hat m ich vor Jahren auf einen von ihnen auf m erksam g e m acht. Seine S t ücke verstoßen zwar gegen die drei E i nheiten, und ich fürchte, er fände keine Gnade vor der Akademie, aber eines von ihnen schien m ir trotzdem an die Griechen heranzureichen. Ihr kennt vielleicht das Märchen von dem König und seinen drei Töchtern, zwei bösen Töchtern und einer guten ? « Sie nickte. Raoul wußte nicht, wo v on Paul sprach, aber er be m erkte, daß Marie de Vignerot den g e sammelten, konzentrierten Eindruck einer Katze kurz vor dem Sprung machte. Es beruhigte ihn etwas; zu m i ndest war sie nicht unvorbereitet.
    »Er verliert sein Königreich, und in dem Märchen findet er schließlich seine gute Tocht e r, und sie kann ihm Krone und Leben retten. Aber dieser engli s che Dichter, zwei f ellos aufgr u nd seiner a n gelsäc h sischen Ungeschliffenheit, veränderte das. In seinem Stück gibt es kein glückliches Ende. Am Schluß hält der wahnsinnig gewordene König seine gelie b te To c hter tot in den A r m en, ehe er selbst stirbt.«
    »Ich verstehe«, sagte sie, und an der Art, wie sie Paul ansah, erkannte Raoul, daß sie seine Gegen w art völlig vergessen hatte. » W er töt e t

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