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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Ende des Zimmers, und unwillkürlich musste ich an ein verschrecktes Tier denken, das sich in ein Versteck duckt. Sie war wie versteinert vor Furcht.
    «Megan», sagte ich.
    Ich trat näher. Ich sprach in beschwichtigendem Ton, wie man mit einem angsterfüllten Pferd spricht. Eigentlich hätte ich ihr eine Karotte oder ein Stück Zucker hinhalten müssen. Es hätte gepasst.
    Sie starrte mich an, rührte sich aber nicht, und der Ausdruck auf ihrem Gesicht blieb unverändert.
    «Megan», sagte ich wieder. «Joanna und ich wollten fragen, ob du nicht Lust hättest, eine Weile bei uns zu wohnen.»
    Ihre Stimme drang hohl aus dem Zwielicht.
    «Bei Ihnen wohnen? In Ihrem Haus?»
    «Ja.»
    «Sie meinen, Sie würden mich von hier wegholen?»
    «Ja, mein Liebes.»
    Mit einem Mal begann sie zu zittern. Es war verstörend und sehr rührend.
    «Oh, holen Sie mich weg von hier! Bitte. Es ist grauenhaft, hier zu sitzen und sich so schlecht vorzukommen.»
    Ich ging zu ihr, und ihre Hände krampften sich um meinen Ärmel.
    «Ich bin ein schrecklicher Feigling. Ich hatte gar keine Ahnung, wie feige man sein kann.»
    «Ist ja gut, Schniefnase», sagte ich. «So was bringt jeden aus der Fassung. Komm jetzt.»
    «Können wir gleich gehen? Jetzt sofort?»
    «Meinst du nicht, du solltest erst noch ein paar Sachen einpacken?»
    «Was für Sachen? Warum?»
    «Mein liebes Mädchen», sagte ich. «Bett und Bad, das ist alles im Service inbegriffen, aber ich werde den Teufel tun und dir meine Zahnbürste leihen.»
    Sie lachte ein ganz schwaches, kleines, mattes Lachen.
    «Ach so. Ich bin heute ein bisschen schwer von Begriff. Nicht böse sein. Ich gehe eben und packe. Aber Sie – Sie warten auf mich? Sie gehen nicht einfach weg?»
    «Keinen Schritt.»
    «Danke. Vielen, vielen Dank. Tut mir Leid, dass ich so dumm war. Aber es ist ziemlich furchtbar, wenn einem plötzlich die Mutter stirbt.»
    «Ich weiß», sagte ich.
    Ich gab ihr einen freundlichen Klaps auf den Rücken, und sie sah mich dankbar an und verschwand in einem der Schlafzimmer. Ich ging wieder nach unten.
    «Ich habe Megan gefunden», sagte ich. «Sie kommt mit.»
    «Was für eine gute Nachricht», rief Elsie Holland. «Das wird sie auf andere Gedanken bringen. Sie ist ein ziemlich schwieriges Kind, wissen Sie. Labil. Es wird mir eine große Erleichterung sein, zu wissen, dass ich mich um sie nicht auch noch sorgen muss. Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, Miss Burton. Ich hoffe nur, sie fällt Ihnen nicht zur Last. Ach je, da klingelt das Telefon. Ich sollte drangehen. Mr Symmington ist nicht in der Verfassung.»
    Sie eilte aus dem Zimmer.
    Joanna sagte: «Ganz die gute Fee!»
    «Das hast du aber gar nicht nett gesagt», bemerkte ich. «Sie ist ein liebes, gutherziges Mädchen und offenbar äußerst tüchtig.»
    «Äußerst. Und das weiß sie auch.»
    «Das ist deiner nicht würdig, Joanna», sagte ich.
    «Im Klartext: Warum darf das Mädel nicht seine Arbeit tun?»
    «Ganz genau.»
    «Ich kann nun mal Leute nicht leiden, die so mit sich zufrieden sind», sagte Joanna. «Es weckt meine niedersten Instinkte. Und? Was macht Megan?»
    «Als ich kam, kauerte sie in einem verdunkelten Zimmer wie eine weidwunde Gazelle.»
    «Armes Ding. Sie war also einverstanden?»
    «Sie war ganz wild darauf.»
    Ein Rumpeln in der Diele kündigte das Nahen von Megan und ihrem Koffer an. Ich ging hinaus und nahm ihn ihr ab.
    Joanna hinter mir flüsterte drängend: «Fahren wir! Ich habe schon zwei Tassen schönen heißen Tee abgelehnt.»
    Wir gingen zum Wagen. Es ärgerte mich, dass Joanna den Koffer hineinhieven musste. Ich kam zwar inzwischen mit nur einem Stock aus, aber zu athletischen Einlagen reichte es noch nicht.
    «Rein mit dir», befahl ich Megan.
    Sie stieg ein, ich hinterher. Joanna ließ den Motor an, und wir fuhren los.
    In Little Moor angekommen, gingen wir ins Esszimmer, wo Megan in einen Sessel plumpste und in Tränen ausbrach. Sie weinte mit der hemmungslosen Hingabe eines Kindes – besser gesagt, sie heulte Rotz und Wasser. Ich begab mich auf die Suche nach einem Heilmittel. Joanna blieb neben ihr stehen, reichlich hilflos, wie mir schien.
    Nach einem Weilchen hörte ich Megan mit heiserer, erstickter Stimme murmeln: «Entschuldigung. So was Idiotisches.»
    «Überhaupt nicht», sagte Joanna begütigend. «Wie wär’s mit noch einem Taschentuch?»
    Ich nehme an, sie gab ihr eins. Ich für meinen Teil kehrte ins Zimmer zurück und reichte Megan ein randvolles Glas.
    «Was ist

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