Die Schattenkämpfer 3 - Der Fluch der Assassinen
behelfen.
Sie holte einen dünnen Metallstift hervor - die Zinke einer Gabel, die sie sich vorsorglich für einen solchen Fall abgebrochen hatte - und machte sich an die Arbeit.
Schon begannen ihre Hände leicht zu zittern, und daher dauerte es länger als vorgesehen. Schließlich ein erleichterndes Klick, und sie wusste, dass sie es geschafft hatte. Sie zog, und die Schublade kam ihr sanft entgegen. Sie war mit rotem Samt ausgeschlagen und bot gerade mal Platz für eine kleine, vielleicht eine Hand breite Pergamentseite. Dass die Schublade leer war, konnte Dubhe nicht entmutigen. Mit dem Fingernagel fuhr sie am Rand entlang, hob den Stoff an und fand darunter tatsächlich ein gefaltetes Blatt. Mit schweißnasser Hand holte sie es hervor und schlug es auf.
Es war nicht das, was sie gesucht hatte, sondern eine Nachlassurkunde vom 13. Mai. Ein kurzer Seufzer, dann holte sie das Blatt mit den von Theana abgeschriebenen Vermerken hervor und suchte die Eintragung neben diesem Datum.
>S. Bl., fü.< Sie überlegte einen Moment. Diese Abkürzungen standen nicht für Regale oder Buchreihen, sondern für etwas anderes, und plötzlich war es ihr klar. Der Saal, in dem sie sich befand, wurde Blauer Saal genannt. Anfangs hatte sie den Namen keine Beachtung geschenkt, später jedoch selbst in ihrem Lageplan die Bezeichnungen eingetra gen, die sie von der Dienerschaft gehört hatte. Sie zählte die Schubladen. Das Dokument hatte in der fünfzehnten gelegen. In diesem Fall bedeutete >fü.< also nicht >fünf<, sondern >fünfzehn<, und stand nicht für die Position in der Reihe, sondern für die Schublade.
Innerlich jubelte sie. Sie kam der Sache immer näher.
Sorgfältig faltete sie das Dokument zusammen und legte es an seinen Platz zurück, verschloss die Schublade, sodass niemand das Aufbrechen bemerken konnte, und setzte sich dann auf den Boden, das Blatt mit der Liste in der Hand. Die Angaben neben dem für sie interessanten Datum hatte sie umrandet. R. Vi. Bu. Ac.
Im Geist ging sie noch einmal alle Säle durch, die sie sich angesehen hatte. Thronsaal, Jagdsaal, Audienzsaal, Kapitelsaal, Prinzensaal, Königinnensaal, Erster Saal, Repräsentationssaal und ... Viereckiger Saal.
Hierbei handelte es sich nur um einen kleineren Raum, also >R.<, mit vier, also >Vi.< nicht bewachten Eingängen. Auf jeder Seite hingen große bunte Wandteppiche, auf denen die Geschichte von Sulanas Königsgeschlecht dargestellt war.
Sie riss die Augen weit auf: Dort mussten die Dokumente zu finden sein, ganz sicher!
Aufmerksam blickte sie sich um, verließ den Raum und tauchte wieder in das Gewirr der Flure ein.
Den Weg kannte sie, doch plötzlich patrouillierte eine Wache ausgerechnet in dem Gang hin und her, von wo die Treppe hinauf zu dem betreffenden Raum führte, und kam nun auch noch auf sie zu. Dubhe presste sich flach hinter einen Vorsprung in der Wand und hielt den Atem an. Sie war zu hastig vorgegangen, ohne nachzudenken, und nun blieb ihr nichts anderes mehr übrig. Sie zog den Dolch aus dem Gürtel und wartete, alle Muskeln angespannt, im Halbdunkel, bereit, den Mann, der gefährlich näher kam, sofort anzugreifen. Doch als sie schon dachte, dass nun alles verloren sei, bog der Soldat in einen anderen Gang ab und entfernte sich. Dubhe zögerte keinen Augenblick, stürmte die Treppe hinauf und betrat den Viereckigen Raum. In diesem Bereich des Palastes waren die Kontrollgänge verdoppelt, und als sie sich nun umschaute, verstand sie auch, dass dies der beste Platz war, um etwas Kostbares zu verstecken. Die anderen drei Türen führten zu Gemächern von Höflingen, zum Garten und zum Repräsentationssaal, was ein großes Risiko für jeden Dieb bedeutete, denn sichere Fluchtwege gab es hier nicht.
Sie versuchte, sich zu beruhigen - schließlich war sie auf dem richtigen Weg-, musste sich aber jetzt mit klarem Kopf überlegen, wie sie am besten und am schnellsten vorging. Sie atmete einmal tief durch und rief sich den Vermerk auf dem Blatt in Erinnerung: Bu. Ac.
Zunächst nahm sie die Wandteppiche in Augenschein, aber die waren zu fantasievoll, zu reich an Farben und Details. Sie erkannte Sulana als junge Frau mit dem ersten Learco auf dem Arm, und dann Kharva, den Stammvater des Hauses, sah aber keinen Zusammenhang mit dem, was sie suchte. Dann war da eine Seeschlacht dargestellt, aber das sagte ihr noch weniger. Sie schloss die Augen, um zu neuer Konzentration zu finden und sich nicht in Einzelheiten zu verlieren. Auf das Gesamtbild
Weitere Kostenlose Bücher