Die Schattenkämpfer 3 - Der Fluch der Assassinen
es die Finger, die Hände, die Arme und die Muskeln. Dann erstrahlte alles in diesem blendenden Weiß, grell wie ein Höllenfeuer. Sie spürte, wie das Blut heftig in ihren Adern pochte und ihr Herz in der Brust so mächtig anschwoll, dass es fast explodierte. Sie bekam keine Luft mehr und spürte, wie ein Keil ihre Seele spaltete und ein schweres Gewicht im Kopf sie am Denken hinderte, sie zerriss, zerfleischte, zerstörte.
Blutrünstig. Mordgierig. Ein unwiderstehlicher, verheerender Drang. Unerträglich.
Nein, ich will nicht!
Doch Widerstand war zwecklos. Mehr und mehr färbte sich alles rot, und Blutstropfen mischten sich in diesen weißen, milchigen See, durchzogen ihn zu komplizierten Arabesken. Das Brüllen der Bestie zerriss ihren Geist und erfüllte sie mit Grauen. Ihr Körper war ein einziger Schmerz, ein fremdes Gebilde, über das sie völlig die Beherrschung verloren hatte. Nun war sie nur noch machtlose Zuschauerin ihres eigenen Tuns. Und diese Tatsache machte auch die letzte Hoffnung zunichte, vielleicht doch noch einmal zurückkehren zu können.
Lange hast du mich verleugnet, hast mich eingesperrt zwischen Herz und Bauch. Atmen musste ich die verpestete Luft jener finsteren Orte, an die du mich verbanntest, aber ganz vertreiben konntest du mich nie. Ich war dein Jubel, als du Gornar tötetest, war dein Wahnsinn, wenn du Rache nahmst. Nun bin ich wieder hervorgebrochen und lasse mich nie mehr in Ketten legen. Denn ich bin dein wahres Wesen, das ungeschminkte Antlitz der Dinge, aller Bemäntelungen entkleidet, die du mir gabst, um dich vor anderen zu rechtfertigen. Jetzt gibt es nur noch mich. Deine schwarze Seele, die wahre Dubhe.
Sie fühlte sich hinabgezogen in die Tiefe, und als sie die Augen aufriss, sah sie, dass die Finsternis, die den Tempel umgab, nun von mächtigen Flammen erhellt wurde. Ohne Unterlass spuckten die Drachen Feuer und rissen gleichzeitig mit Klauen und Zähnen die Mauern aus Schwarzem Kristall ein, während unter ihnen, wie aufgescheuchte Ameisen, Menschen in wilder Panik hin und her wuselten.
Fleisch. Fleisch, um ihren Hunger zu stillen. Blut. Blut, um ihren Durst zu löschen.
Ohne Gnade fiel die Bestie über sie her.
Willst du nicht einstimmen in meinen Jubel? Nimmst du sie nicht wahr, diese Erhabenheit all dessen, was hier geschieht? Du weißt doch: Dazu bist du geboren! Das ist deine Bestimmung! Dubhe schrie, hatte aber keine Stimme mehr, keinen Mund, um ihrer Verzweiflung Ausdruck zu geben, die, wie sie wusste, kein Ende haben würde. Nur der Tod, jetzt gar zu fern, konnte sie von diesen Qualen erlösen. Ich muss es ertragen. Ich muss es tun. Für Learco. Er wird leben.
Ido war sprachlos, als er sah, wie sich das zierliche Mädchen, das mit ihm auf Oarfs Rücken hierher gekommen war, vor seinen Augen verwandelte. Ihr Gesicht war verzerrt zu einer unmenschlichen Grimasse, ihre Gliedmaßen
schwollen an, ihre Haut überzog sich mit einem borstigen Fell. Noch der letzte Rest ihrer dunkeln, melancholischen Augen verlor sich im Feuer grenzenloser Raserei, und vor sich sah Ido ein Monster, das keinen Namen hatte und kein Bewusstsein seiner selbst. Eine Missgeburt der Natur, der böse Scherz eines frevelhaften Gottes. Brüllend zeigte es ein Maul, das besetzt war mit Reißzähnen so scharf wie Klingen, während seine Gliedmaßen in Klauen mit langen, spitzen Krallen ausliefen. Als die ersten Assassinen aus dem Tempel stürmten, warf sich die Bestie ins Getümmel und metzelte alles nieder, was ihren Weg kreuzte, zerfleischte und zerfetzte die Leiber, ohne auch nur einen Moment innezuhalten. Ido, der doch in seinem Leben so viele Massaker gesehen hatte, überkam zum ersten Mal Angst. Der Ekel drehte ihm den Magen um, und am liebsten hätte er so schnell wie möglich das Weite gesucht. Stattdessen umfasste er aber das Heft von Nihals Schwert noch fester. Mit kriegerischem Blick betrachtete er das Schlachtfeld. Der blaue Drache kämpfte auf der Rückseite des Tempels, Oarf am Hauptportal. Auch die Bestie hatte sich schon ihren Weg gebahnt. Nun war es an ihnen, ins Geschehen einzugreifen.
»Folgt mir. Wir gehen jetzt da rein und erledigen, was wir zu tun haben.« Sennar blickte ihn mit verschreckter Miene an, Lonerin zitterte.
»Los jetzt!«, rief Ido aus voller Kehle.
Sein Schrei rüttelte die beiden auf, und schon rannten sie durch die Flammen hinein in das Chaos im Bau der Gilde. Erleichtert bemerkte Ido, dass die Situation so unübersichtlich war,
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