Die Schattenkämpfer 3 - Der Fluch der Assassinen
entfernter und gedämpfter klang das Geschrei im Bau. Dohor dachte an die Ereignisse der vergangenen Tage zurück, und dabei wurde ihm klar, dass die schmalen Risse, die plötzlich das Bollwerk seiner Herrschaft durchzogen, alle von dem einen Kratzer herrührten, den er nie hatte glätten können. Solange Ido atmete, würde er immer wieder Angst haben müssen. Der Gnom war der Anfang und das Ende von allem, er war der Fleck, von dem er sich noch nicht gereinigt hatte. Berge von Toten hatte er aufgehäuft, war über die Leiche seiner Gattin gegangen und würde auch über die seines Sohnes gehen. Er hatte seine Seele dem Teufel vermacht und Yeshol und dessen Bruderschaft der Wahnsinnigen an sich gebunden. Jetzt blieb ihm nur noch ein Feind: der wichtigste.
Draußen vor dem Bau roch es verbrannt. Mit vollen Lungen sog Dohor den Geruch des Schlachtfelds ein und betrat dann die Hütte. Wach lag sein Drache am Boden, die Flügel eingezogen unter dem Körper, während sich zwischen seinen Vordertatzen und den Pflöcken die Ketten spannten, die ihn am Boden hielten.
Der dorthin abgestellte Stallbursche war vor Angst kreidebleich.
»Mach ihn los«, befahl der König.
Der Junge gehorchte auf der Stelle und begann, wie Espenlaub zitternd, sich an den Ketten zu schaffen zu ma chen. Kaum war Dohor König geworden, hatte er beschlossen, dass er einen neuen Drachen brauche. Das Tier, das er schon seit der Zeit seiner Ausbildung in der Akademie ritt, schien ihm für einen Herrscher völlig unangemessen. Es war ein normaler grüner Drache, den er dann aber Yeshol überließ.
»Wir sind im Besitz des Geheimnisses, mit dem Aster seine Schwarzen Drachen erschuf. Lasst mich nur machen, und Ihr werdet Euren Drachen nicht mehr wiedererkennen«, hatte der Höchste Wächter nämlich zu ihm gesagt. Und er hatte gut daran getan, den Worten Yeshols Glauben zu schenken. Denn heute war sein Drache ein Tier von furchterregender Schönheit. Sein Rücken war besetzt mit spitzen schwarzen Stacheln, und sein langgezogenes Maul verbreitete Angst und Schrecken. Seine mächtigen Flügel funkelten jetzt unnatürlich im reflektierten Licht der Milchgewächse, das durch das Stallfenster einfiel. Kaum hatte der Stallbursche die Vordertatzen losgekettet, riss der Drache die Augen auf, die wie rote Kohlen im Dunkel der Nacht glühten. Mit Macht breitete er die Schwingen aus, und ein Beben durchlief die Wände, das sich bis in den Boden fortsetzte. Der blasse Bursche presste sich mit dem Rücken gegen die Stallwand, und Dohor lachte amüsiert und zog sein Schwert.
»Heute Nacht bekommst du Gnomenfleisch zu fressen!«, rief er seinem Drachen zu, und als er aufsaß, überkam ihn endlich wieder einmal der Rausch des Kampfes, ein begeisterndes Gefühl, das er zu lange nicht genossen hatte. Mit dem Schwert in der Hand rannte Ido durch die Flure. Seltsam, aber das Heft von Nihals Schwert schien wie für ihn gemacht, so als habe er diese Waffe sein Leben lang geführt, obwohl sie doch so anders als seine eigene war. Er stieß auf keinen nennenswerten Widerstand. Dubhe, zur Bestie mutiert, hielt die ganze Gilde in Schach, und die Assassinen, die ihm über den Weg liefen, beachteten ihn nicht. Allerdings hatte auch er selbst kein Interesse an ihnen. Für ihn gab es nur eine Beute, und nach der suchte er jetzt.
Er stürmte in jeden Raum, durchkämmte jeden Winkel und folgte dabei blind nur seinem Jagdinstinkt. Einen Moment lang fragte er sich, ob er gut daran getan hatte, San bei Learco und Theana zu lassen. Die beiden waren sehr mitgenommen, und der Prinz war dazu noch in besonderem Maß erschüttert angesichts dessen, was mit Dubhe geschah. Die Vernunft sagte ihm ganz deutlich, dass sein Vorhaben falsch war: Es war unklug, den Gespenstern der Vergangenheit nachzujagen, sein Platz war neben dem jungen Mann, der hoffentlich bald die Herrschaft über die Aufgetauchte Welt, wie sie aus dieser Schlacht hervorging, übernehmen würde. Doch eigentlich hatte er nie gern auf seine Vernunft gehört. Sein ganzes Leben lang hatte er sich von seinem Verlangen zu kämpfen antreiben lassen, denn im Grunde seines Herzens war er nichts anderes als ein Soldat. Er erinnerte sich an Aires und deren Tod, an Soana und all die jungen Leute, deren Hände er noch gehalten hatte, während sie in der Blüte ihres Lebens starben. Alles begann und endete mit Dohor, eine andere Möglichkeit als den Kampf gegen ihn gab es nicht. Sein Platz war dort, wofür sein Herz immer geschlagen hatte,
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