Die Schattenkämpfer 3 - Der Fluch der Assassinen
Kummers durchzog seine Stirn. Es war nicht das erste Mal, dass er eine Gemeinsamkeit mit diesem Mädchen verspürte. Auch am Flussufer hatte er das erlebt.
»Ich kann auch nicht schlafen«, sagte er mit einem Lächeln. Er betrachtete sie im blassen Licht der Mondsichel: Sie wirkte zierlich und verstört. »Ist es immer noch dasselbe wie vor ein paar Tagen?«, fragte er.
»Ja«, murmelte sie.
Plötzlich hatte er das Bild von sich selbst vor Augen in den unzähligen Nächten, die auch er schlaflos verbracht hatte. Damals war niemand bei ihm gewesen, der ihn getröstet hatte, niemand, dem er von seinem Schmerz hatte erzählen können. »Ja, den Dämonen seiner Vergangenheit kann man eben nicht entkommen. Alle unsere Taten ritzen sich in unsere Haut ein und hinterlassen Narben, die für immer bleiben.«
Das Mädchen schien nicht überrascht von dieser Bemerkung. Ihr Blick sagte ihm, dass sie nur zu gut verstand. lind doch ist es so, als würde ich tu mir selbst sprechen. »Immerhin bin ich jetzt in Sicherheit«, murmelte sie.
Als er das hörte, überkam Learco ein seltsamer Zorn. Bevor er mit dreizehn Jahren auf den Schlachtfeldern seine Ausbildung zum Krieger begonnen hatte, war er niemals in Berührung gekommen mit dem Volk, über das sein Vater herrschte.
Die Untertanen waren für ihn nur so etwas wie eine unförmige, wirre Masse, über die Dohor nach Belieben bestimmte, indem er kühl festlegte, wer sterben musste und wer leben durfte. Und er war nicht auf den Gedanken gekommen, dass daran etwas schlecht sein könnte. Sein Vater war der König, und dies war sein Recht.
Dann hatte ihn der Krieg von Dorf zu Dorf geführt, wo er dem wahren Gesicht dieses Volkes begegnete, dessen Leben und Sterben auch einmal in seiner Hand liegen sollte. Scharen leidender Gesichter,- Männer, Frauen und Kinder, die, nur noch vom Selbsterhaltungstrieb angespornt, bei den Heerlagern
herumvegetierten.
»Die dürfen dich nicht interessieren, das ist nur unbedeutendes Fußvolk«, schärfte ihm Forra, sein Onkel, immer wieder ein.
Aber dieses Mädchen hier vor ihm war aus diesem Volk. Die Hände zitterten ihm vor Zorn. »Es tut mir leid, dass ich nicht früher da war. So konnte ich nicht verhindern, dass dein Dorf zerstört wurde.«
»Das ist der Krieg, Herr.«
»Ausreden«, erklärte er entschlossen. »Das ist ein sinnloser Krieg. Er hätte niemals begonnen werden dürfen. Immer neue Länder erobern ... Wozu? Zu welchem Zweck?«
»Vielleicht zum Wohl unseres Volkes ...«, warf Dubhe ein.
Learco musterte sie aufmerksam. »Glaubst du das wirklich? Dann schau dir doch an, was aus dir und deiner Schwester geworden ist: Geschah das etwa zu eurem Wohl? Ihr hattet ein Zuhause, eine Familie. Und nun folgt ihr jemandem, der euch Knechtschaft versprochen hat, nur in einer weniger brutalen Art und Weise. Wo ist da euer Wohl?« Er fühlte sich erleichtert, als er das gesagt hatte. Diese Gedanken waren ihm in den zurückliegenden acht Jahren häufig durch den Kopf gegangen, aber ausgesprochen hatte er sie noch nie. Nun fühlte er sich befreit.
Das Mädchen schien zu verblüfft, um zu antworten, und Learco fragte sich, was sie wohl denken mochte. Bedauerte sie ihn? War sie empört?
Darauf kam es nicht an. Sie hatten etwas geteilt einige Tage zuvor, und er hatte sie gerettet. Der Damm war gebrochen. Sie war die Richtige, sie war der Mensch, dem er diese Dinge endlich sagen konnte.
»So viel Leid, so viel Grausamkeit habe ich gesehen, so viel vergossenes Blut ... Vielleicht dachte ich anfangs wirklich noch, das alles habe schon seine Richtigkeit. In diesem Geist war ich ja auch erzogen worden. Aber mehr und mehr wurden alle Ideale, alle Träume von diesem Blut ertränkt. Ich sehe nur noch Tod um mich herum und wandele über Leichen.«
Er sah, dass sie leicht schauderte in der kühlen Nachtluft: In ihren Augen las er, dass sie ihn verstand. Und er fühlte sich getröstet davon.
Was würde mein Vater sagen, wenn er mich hier sähe? Ein Thronerbe, der einer Sklavin sein Herz ausschüttet...
Es war ihm gleich.
»Ein Herrscher sollte anders reden ... Oder was meinst du, ...? Wie heißt du eigentlich?«
Das Mädchen schien einen Moment lang zu zögern, ihre Lippen öffneten sich kurz und schlossen sich wieder.
»Sanne«, antwortete sie dann leise.
»Ja, Sanne, ein Herrscher sollte wohl so nicht reden ...«
Learco fühlte sich leer, doch in gewisser Hinsicht auch im Frieden mit sich selbst. Er hatte das Unvorstellbare getan, hatte eine
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