Die Schattenkämpfer 3 - Der Fluch der Assassinen
Theanas Entscheidung, sein unbändiger Hass auf die Gilde, der manchmal alles andere überlagerte: All das hatte sich zu einem Chaos vermengt, das er nicht mehr durchschaute.
Ihr Nachtlager schlugen sie in einem niedrigen Buschwald auf, den sie am Rand der Steppe entdeckt hatten.
Erschöpft ließ sich Lonerin zu Boden sinken. Der Himmel über ihnen war blass, die Sterne verschleiert. Jetzt, zu dieser Jahreszeit, begann es im Land des Windes sehr warm zu werden, eine Gegend, die immer schon für ihr besonders heißes Klima bekannt war.
»Steh wieder auf. Es ist noch nicht Zeit zum Ausruhen.«
Lonerin blickte Sennar aus müden Augen an. »Ich kann nicht mehr. Dieses ständige Herumziehen laugt mich aus.«
»Und wenn schon. Wir machen auch keine Vergnügungsreise.«
Der alte Magier holte bereits einige Bücher aus seinem Quersack hervor, und das bedeutete: lernen. Doch Lonerin spürte, dass jetzt nichts mehr in seinen Kopf hineingehen würde. »Tut mir leid, aber heute Abend schaffe ich das nicht mehr.«
Sennar blickte ihn höhnisch an. »Ich bin dreimal so alt wie du und habe ein lahmes Bein. Aber ich bin immer noch besser bei Kräften als du.«
Das stimmte nicht. Auch er war erschöpft, hatte Ringe um die Augen, und seine Hände zitterten. Aber es drängte ihn weiter, er konnte nicht anders, und das verstand Lonerin gar zu gut.
»Es wird uns beiden sicher guttun, wenn wir uns mal richtig ausruhen. Bisher haben wir uns kaum eine Pause gegönnt, und auch Euch wird das zu viel. Es ist niemandem gedient, wenn wir unsere Kräfte auf diese Weise vergeuden. Ich jedenfalls muss frisch und ausgeruht sein, wenn ich den Ritus vollziehen soll.« »Die Zeit drängt aber, mein junger Freund, und du kannst dich ausruhen, wenn du den Zauber sicher beherrschst. Die Tat ist das Einzige, was uns retten kann, in jeder Beziehung.«
Sennar blickte ihn eindringlich an, und Lonerin verstand sehr gut, wie sehr es ihm davor graute, haltzumachen: Hinter ihm lag eine Vergangenheit, die ihm immer auf den Fersen war und die sich von den eindringlichsten und schmerzlichsten Erinnerungen nährte. Dagegen half ihm nur, sich schneller als diese Vergangenheit zu bewegen, sich durch Handeln und Vorwärtsstreben zu betäuben, um mit dem Geräusch seiner Schritte die Stimmen zu übertönen, die innerlich zu ihm sprachen.
»Bei mir ist das anders«, erklärte Lonerin, jetzt wacher. »Ich muss den Sachen auf den Grund gehen, muss sie verstehen. Aber seit ich mich in den Bau der Gilde eingeschlichen habe, schreite ich auch immer nur voran. Dadurch ziehen die Dinge zu schnell an mir vorüber, als dass ich Zeit hätte, sie auch nur anzusehen, geschweige denn, sie zu prüfen und zu verstehen.« Ohne Hast schlug Sennar das Buch auf. »Da gibt es nichts zu verstehen, denn die Ereignisse haben keinen tieferen Sinn. Ihr Verlauf folgt keinem erkennbaren Weg, und kein höherer Plan steht dahinter, den du entschlüsseln könntest. Zudem lässt sich der Lauf der Dinge ohnehin nicht aufhalten.«
Langsam, mit lahmen Gliedern und vom Schlafmangel benebeltem Kopf richtete sich Lonerin auf. »Seid Ihr Eures Enkelsohnes wegen hier?«
Die Frage kam ihm spontan über die Lippen. Zuvor hatte er es nie gewagt, sie zu stellen, doch nun, benommen von der Müdigkeit, war er kühner geworden. Nur einen kurzen Moment verlangsamte Sennar den Rhythmus, mit dem er die Seiten umschlug. »Du willst dich mit solch sinnlosen Fragen nur vor dem Lernen drücken«, sagte er lächelnd.
Lonerin ging nicht darauf ein. »Ihr seid so ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe«, fuhr er ungerührt fort. In dem Zwischenreich, in das ihn die Müdigkeit versetzt hatte, waren die Konturen der Dinge aufgeweicht, und so konnte er es sich hier sogar erlauben, mit dem größten Magier, der jemals in der Aufgetauchten Welt gelebt hatte, ein wenig zu vertraulich umzugehen. »Ihr wart für mich und für viele andere junge Magier auch immer das große Vorbild. Doch scheint Ihr ganz und gar den Glauben verloren zu haben, der Euch einmal antrieb. Und deswegen möchte ich gern wissen: Warum seid Ihr hier?« »Weil mich die Aufgetauchte Welt anscheinend immer noch braucht.« Lonerin blickte ihn an. »Warum?«, fragte er noch einmal.
Mit einem Seufzer schlug Sennar das Buch zu. »Und du, warum bist du hier? Warum meldest du dich ständig freiwillig für die gefährlichsten Missionen? Zunächst lässt du dich in den Bau des Feindes einschleusen, und nun spielst du mit mir zusammen den Märtyrer in
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