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Die Schattenmatrix - 20

Die Schattenmatrix - 20

Titel: Die Schattenmatrix - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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auf den Thron zu setzen. Er fand, sie sollten diese Stellung, die sowieso nur noch rituellen Wert hatte, entweder ganz unbesetzt lassen oder jemanden
bestimmen, der geistig gesund und tüchtig war. Vincent machte einen recht intelligenten Eindruck auf ihn, und er war auch nicht augenscheinlich geisteskrank, aber sein Charakter bereitete Mikhail große Sorgen. Sosehr er auch darauf erpicht war, die Regentschaft wieder loszuwerden, war er doch zu ehrenhaft und verantwortungsbewusst, um den leichtesten Weg einzuschlagen, zumal das genau die Lösung gewesen wäre, die auch Priscilla vorschlug.
Mikhail verglich Vincent für einen Moment mit seinen eigenen Brüdern und kam zu der Erkenntnis, dass deren Charakter mit fünfzehn schon deutlich ausgeprägter war. Gabriel war damals bereits sehr rechthaberisch und von sich überzeugt gewesen, und Rafael neigte von Natur aus zu Kompromissen. Sie hatten sich beide nur noch wenig verändert, und Mikhail bezweifelte daher, dass sich Vincent mit zunehmendem Alter noch stark bessern würde. Das eigentliche Problem, dachte er, bestand darin, dass er seinem eigenen Urteil nicht mehr traute. Ihm fehlte jeglicher Abstand. Gegen Vincent war er voreingenommen, weniger weil der Bursche so eigensinnig, sondern weil er grausam war. Was Alain anging, wusste Mikhail, ohne ihn zu prüfen, dass er nie in der Lage sein würde, den Thron zu besteigen. Der Gedanke an den ältesten Jungen machte ihn verrückt. Er hockte nur tagaus, tagein in seinem Zimmer und wurde von Becca oder Wena mit dem Löffel gefüttert. Und die Ausbildung, die Mikhail in Arilinn erhalten hatte, war noch nicht zum Zuge gekommen. Alain war schlicht unprüfbar, und Emun ebenso. Der jüngste Sohn steckte voller Ängste, fuhr beim kleinsten Geräusch zusammen und hatte auf keinen einzigen von Mikhails Rettungsversuchen angesprochen.
Im Grunde wusste er, dass die beiden Mädchen von den fünf Kindern am stärksten und fähigsten waren, sowohl was den Verstand als auch was den Charakter betraf. In seiner ge
genwärtigen Verwirrung wagte er das natürlich kaum zu glauben. Die beiden betrachteten ihn eher wie einen Erlöser, der sie von einem Geschick befreite, das sie nicht enthüllen wollten, aber er war überzeugt, es hatte mit Priscillas Plänen zu tun. Sie hatten ihn wiederholt gebeten, sie von Haus Halyn wegzubringen, und er hätte es vielleicht sogar getan, wenn es nicht das Scheitern seiner angeblichen Regentschaft bedeutet hätte, diesen üblen Ort einfach zu verlassen.
Seit seiner Ankunft war es Mikhail erst zweimal gelungen, mit Regis Hastur Kontakt aufzunehmen, einmal, um ihn davon zu unterrichten, dass er Haus Halyn erreicht hatte, und das zweite Mal, um ihm mitzuteilen, dass dieses Haus eine einzige Ruine war. Beide Male hatte er nichts davon angedeutet, dass er Schwierigkeiten hatte oder dass ihm die Sache langsam über den Kopf wuchs. Und Regis hatte auch kaum Zeit gehabt, ihm zuzuhören, und nur wieder seine Überzeugung betont, Mikhail würde diese einfache Aufgabe schon meistern und die Kinder prüfen und bald einen neuen Herrscher finden.
Nach dem zweiten kurzen Kontakt hatte Mikhail beschlossen, seinen Onkel nicht weiter zu belästigen, komme, was wolle. Er schluckte das beklemmende Gefühl der Zurückweisung hinab, und es vermischte sich mit den Zweifeln an seinen Fähigkeiten, seinem generellen Gefühl der Wertlosigkeit und seiner zunehmenden Mutlosigkeit. Das hier war nun mal sein Problem, und er würde es lösen, allein und ohne fremde Hilfe! Bisweilen erwog er, einfach die Kinder zu nehmen und abzureisen, wenngleich er immer noch im Unklaren darüber war, ob er überhaupt die Berechtigung dazu hatte. Und wen konnte er schon fragen, ohne dabei zu enthüllen, dass er bis zur Hüfte in einer Schlangengrube stand, wie es Margaret bei anderer Gelegenheit so anschaulich ausgedrückt hatte?
Mikhail blieb nicht einmal der Trost eines regelmäßigen Austauschs mit seiner Liebsten, denn jedes Mal, wenn er mit ihr sprechen wollte, ertappte er sich dabei, dass er über belanglose Dinge redete, etwa den Unfug, den Vincent wieder angestellt hatte, oder wie hübsch die beiden Mädchen waren. Er hatte das Gefühl, dass sie ihre Achtung vor ihm verlieren würde, wenn er ihr die Wahrheit erzählte, und dass er dann schwach und ihrer Liebe nicht würdig erscheinen könnte. Außerdem war es ungewöhnlich schwierig, aus Haus Halyn jemanden auf telepathischem Wege zu erreichen. Er vermutete schon, dass ein telepathischer Dämpfer

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