Die Schattenplage
Donnerexplosion. Kendra hielt sich die Ohren zu, trat ans Fenster und starrte in den dunklen Innenhof hinaus. Da die Wolken alle Sterne verdeckten und auf der Hazienda keine Lampen brannten, hätte der Innenhof eigentlich vollkommen schwarz sein müssen, aber sie konnte die Silhouetten von Kakteen ausmachen. In der Mitte des Innenhofs befand sich ein Springbrunnen, es gab gepflasterte Wege, Schotterpfade und eine Vielzahl von Wüstenpflanzen.
Kendra hatte eigentlich erwartet, eine der höheren Kakteen nach dem Blitzschlag in Flammen stehen zu sehen, aber das war nicht der Fall. Es regnete nicht einmal, und im Innenhof war alles still. Angespannt wartete Kendra auf den nächsten Blitz und das nächste Donnerkrachen. Doch es kamen weder Blitz noch Donner, stattdessen fielen Regentropfen. Einige Sekunden lang plätscherte es nur sanft, dann begann es wie aus Eimern zu gießen. Kendra öffnete ihr Fenster und genoss den Duft, den der Regen der Wüstenerde entlockte.
Eine Fee mit Flügeln wie ein Maikäfer landete auf dem Fenstersims. Sie erstrahlte in einem sanften Grün, hatte ein außergewöhnliches Gesicht und war pummeliger als jede andere Fee, die Kendra je gesehen hatte.
»Hat dich der Regen erwischt?«, fragte Kendra.
»Das Wasser macht mir nichts aus«, zirpte die Fee. »Es erfrischt alles hier. Dieser kleine Wolkenbruch wird in wenigen Minuten vorbei sein.«
»Hast du die Blitze gesehen?«, fragte Kendra weiter.
»Die waren schwer zu übersehen. Du leuchtest fast genauso hell.«
»Das hat man mir schon mal gesagt. Willst du in mein Zimmer kommen?«
Die Fee kicherte. »Näher als bis zum Fenstersims kann ich nicht kommen. Du bist noch spät auf.«
»Der Donner hat mich geweckt. Streunen Feen oft die ganze Nacht herum?«
»Nicht alle. Auch ich tue es im Allgemeinen nicht. Aber ich hasse es, mir ein Gewitter entgehen zu lassen. Wir haben so wenige hier. Ich liebe den Monsun.«
Der Regen ließ bereits etwas nach. Kendra streckte eine Hand aus, um die fetten Tropfen auf der Haut zu spüren. Ein Blitz zuckte in den Wolken auf, weiter entfernt als zuvor und gedämpft durch den Nebel. Zwei Herzschläge danach folgte der Donner. Sie fragte sich, was Warren wohl in diesem Moment tat. Er war mit Dougan, Gavin, Tammy und Neil etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang zu dem Gewölbe aufgebrochen. Möglicherweise war er bereits zurückgekehrt. Oder er konnte sich im Bauch eines Drachen befinden.
»Meine Freunde sind vielleicht bei diesem Wetter unterwegs«, sagte Kendra.
»Diejenigen, die versuchen, auf die Mesa zu steigen?«, zwitscherte die Fee.
»Du hast sie gesehen?«
»Ja.«
»Ich mache mir Sorgen um sie.«
Die Fee kicherte abermals.
»Das ist nicht komisch. Sie befinden sich auf einer gefährlichen Mission.«
»Es ist komisch. Ich glaube nicht, dass sie irgendwo hingegangen sind. Sie konnten keinen Weg nach oben finden.«
»Sie sind nicht auf die Mesa gestiegen?«, fragte Kendra.
»Dort hinaufzugelangen, kann problematisch sein.«
»Aber Neil kennt einen Weg.«
»Kannte einen Weg, so wie es aussieht. Der Regen hört gleich auf.«
Die Fee hatte recht. Es nieselte jetzt kaum mehr. Die erdige, feuchte Luft roch wunderbar. »Was weißt du über die Bemalte Mesa?«, fragte Kendra.
»Wir gehen nicht dort hinauf. In die Nähe schon, denn die Mesa hat eine zauberhafte Aura. Aber es ist alte Magie in sie verwoben. Deine Freunde können sich glücklich schätzen, dass sie es nicht hinaufgeschafft haben. Gute Nacht.«
Die Fee sprang vom Fenstersims und sirrte in die Nacht hinaus, verharrte kurz über dem Dach und verschwand dann außer Sicht.
Nachdem sie für kurze Zeit Gesellschaft gehabt hatte, fühlte Kendra sich einsam. Irgendwo über ihr zuckte ein Blitz. Einige Sekunden später grollte Donner. Sie schloss das Fenster und schlüpfte wieder ins Bett. Ein Teil von ihr wollte nachsehen, ob Warren wieder sicher in seinem Zimmer war, aber ihr war unwohl dabei, ihn zu stören, falls er schlief. Am Morgen würde sie gewiss erfahren, was geschehen war.
Kendra hatte noch nie Huevos Rancheros gekostet, stellte aber fest, dass sie ausgesprochen gut schmeckten. Die Idee, Eier mit frischer Guacamole zu mischen, war ihr noch nie in den Sinn gekommen, und sie hatte etwas verpasst. Warren, Dougan und Gavin aßen mit ihr, während Rosa in der Küche herumwerkelte.
»Ihr konntet also keinen Weg nach oben finden«, sagte Kendra, während sie mit der Gabel ihr Rührei zerteilte. Nachdem sie erwacht war und geduscht
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