Die Schattenritter: Kuss der Dunkelheit
Augen fest zusammengekniffen und die Stirn von Schweißperlen benetzt.
»Ich bin fertig«, sagte er sanft.
Langsam öffnete sie ein Auge halb, schloss es aber gleich wieder. »Gut. Deine Verarztung war schmerzhafter als der Dolchstoß.«
»Dafür wirst du jetzt weder eine Infektion bekommen noch eine Narbe behalten.« Diese Dinge schienen ihm wichtiger, bevor er sie laut ausgesprochen hatte.
Immer noch mit geschlossenen Augen lüpfte sie eineBraue. »Was für eine Wunderkur hast du bei mir angewandt?«
»Das willst du nicht wissen, glaub mir.«
Nun lächelte sie sogar ein wenig. »Ich glaube dir.« Dann runzelte sie die Stirn. »Mein armes wunderschönes Kleid!«
»Ich besorge dir ein neues, Liebes.«
Sein Kosename für sie brachte sie noch mehr zum Lächeln. »Eines aus Seide?«
»Natürlich – und in jeder Farbe, die du willst.«
Danach wurde sie still, und Bishop zog die Decke höher über ihren teils nackten Körper, damit ihr nicht kalt wurde. Seine Hände zitterten, als er den weichen Überwurf um ihre Schultern drapierte und ihr ein paar lose Locken aus dem Gesicht strich. Wäre das Mädchen geschickter mit dem Dolch gewesen … Wäre Marika vollkommen menschlich gewesen … Sie wäre jetzt tot oder läge im Sterben, daran bestand kein Zweifel.
Und die Vorstellung von einem Leben ohne sein kühnes kleines Halbblut erfüllte ihn mit einer Angst, die er nie für möglich gehalten hätte. Deshalb wollte er lieber nicht daran denken.
Er stand auf, um hinunterzugehen und eine der Blutflaschen zu trinken, die Floarea ihm beschafft hatte. Danach würde er sich in Ruhe hinsetzen und überlegen, was zu tun war.
»Bishop?«, rief ihn die schläfrige Stimme, als er das restliche Verbandszeug wegräumte. »Wo willst du hin?«
»Nach unten. Schlaf ein bisschen.«
»Verlässt du mich auch nicht?«
Er dankte Gott, dass ihre Augen geschlossen warenund sie weder sein Gesicht sah noch wie schwer ihm das Schlucken fiel. »Nein, ich verlasse dich nicht.«
Aber er hatte eine entsetzliche Angst, dass er sie eines Tages trotzdem verlieren würde.
Constantin war also bei der Großmutter gewesen. Diese Nachricht dürfte manch einer schon für sich genommen interessant finden, wohingegen Maxwell eher den Grund des Besuches wissen wollte. Hatte Constantin dort erfahren wollen, wo der Dhampir sich versteckte, oder aus einer neu entdeckten väterlichen Regung heraus beschlossen, seine Mitbrüder zu betrügen?
Aber eigentlich war es unerheblich. Maxwell kam es vor allem darauf an, dass Bishop von Temple hörte, der in der Gewalt des Ordens war. Falls Constantin ihm zusätzliche Informationen gegeben hatte, dann war es eben so. Und wenn nicht Bishop, würde einer der anderen kommen, um Temple zu befreien. Ihre Natur verlangte es.
Für eine Vampirhorde war die Bruderschaft der Schattenritter, wie sie genannt wurden, ausgesprochen ehrbewusst, insbesondere in Bezug auf ihre Freunde. Selbst Saint, der dreckige Dieb, würde es nicht erwarten können, seinen Gefährten zu retten.
Alles, was zählte, war, dass alle am Ende dort landeten, wo sie hingehörten: in den Händen des Ordens. Und Maxwell hatte einen Plan, wie er das erreichen würde. Er hatte stets einen Plan. Nur so konnte man die Enttäuschung vermeiden, wenn ein anderes Vorhaben fehlschlug. Sein gegenwärtiger Plan bezog sich auf den Dhampir und die Kreatur, die soeben im Keller erschaffen worden war.
Leider verlangte die neue Zielsetzung, dass der Dhampirgeopfert wurde, aber den Preis war Maxwell zu zahlen bereit, wenn dafür Bishop zu ihm kam.
Rache, das wusste Maxwell aus Erfahrung, war ein großartiger Ansporn. Er öffnete die Tür und stieg vorsichtig die enge Treppe hinab, die er wenige Nächte zuvor Armitage hinuntergestoßen hatte. Der Geruch von Blut, Tod und Bösem waberte wie dichter Nebel in der Luft, und Maxwell hielt sich ein Leinentaschentuch vor die Nase, das er in Lavendelwasser getaucht hatte, um den Gestank zu übertönen. Wenn er wieder oben war, müsste er die Kleidung wechseln, so entsetzlich war der Geruch. Und ein Bad wäre nicht verkehrt.
Am hinteren Kellerende befanden sich mehrere Zellen. Maxwell ignorierte die Schreie, das Stöhnen und die sonstigen unerquicklichen Geräusche, die aus den Zellen drangen, und ging zum Laboratorium in der Mitte.
Drei Männer standen unter einem kargen Lüster, der mehr Licht spendete als die elektrische Beleuchtung in Maxwells Londoner Haus. Einer der Männer war Michail, sein russischer Arzt und
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