Die Schattenseherin: Roman (German Edition)
einen Gefallen von dir, weil ich dir damals half, Lexa und die Agentur zu verlassen.«
Noch immer starrte Simias Cale fassungslos an und massierte sich die schmerzenden Schultern. Er wagte es nicht, Cales Blick zu kreuzen, aber in diesem Augenblick konnte Cale keine Rücksicht darauf nehmen. Was er brauchte, waren Antworten, und nachdem Zoe endlich etwas preisgegeben hatte, musste er wissen, was es bedeutete. Sonst wäre seine Drohung nicht nur leeres Geschwätz, sondern bald eine Prophezeiung.
› Du drehst ja richtig auf, Fleischsack! Anscheinend hat dich die sanfte Masche mit deiner Fotografin richtig auf Touren gebracht .‹
›Halt den Mund‹, knurrte Cale in Gedanken. ›Halt einfach den Mund.‹
Simias hatte sich wieder gefangen. Er stieß sich von der Wand ab und winkte Cale, damit der ihm folgte. Er führte ihn durch die Hintertür zurück an die Bar und von dort aus an den Feiernden vorbei zu einer weiteren Tür, die allerdings wesentlich massiver war als alle anderen Türen der ehemaligen Kirche. Als sie hinter ihm zufiel, wurde der Lärm mit einem Mal abgeschnitten. Nahezu geisterhafte Stille umfing ihn und der Geruch nach feuchtem Zement und schalem Bier.
Simias betätigte den Lichtschalter, und Cale sah Fässer um sich herum. »Das Getränkelager. Der Chef ist Vampir und hat es deswegen schalldicht auskleiden lassen. Hier verzieht er sich hin, wenn er ... Mittag macht.«
Cale nickte nur und lehnte sich gegen den Türrahmen. Desmond konnte es auch nie ertragen, wenn es zu laut wurde, besonders wenn er gerade trank. Das Hörvermögen der Vampirdämonen war schon legendär, gleichzeitig aber ihr größter Schwachpunkt.
Auffordernd sah Simias Cale an. »Also, was willst du von mir?«
»Informationen. Du bist immerhin Experte, wenn es um Magie auf der Erde geht.«
Simias legte den Kopf schief. »Experte bin ich nun nicht gerade. Es ist mehr ein Hobby.«
Mit einem scharfen Wink schnitt Cale ihm das Wort ab. »Kannst du mit dem Begriff Blutlesen irgendetwas anfangen?«
Nun glomm so etwas wie echtes Interesse in den bernsteinfarben funkelnden Augen auf. »Blutlesen? Wo hast du das denn her?«
»Das tut nichts zur Sache. Also, du kennst es?«
»Es ist etwas sehr Erdspezifisches«, erwiderte der Dämon und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick war auf einen Punkt neben Cale gerichtet, als würde er dort ablesen können, was auch immer er über diese Sache wusste. »Kein Dämon kann es, und soweit ich weiß, auch kein Engel. Es ist nur bestimmten Menschen gegeben.«
»Was meinst du damit, was für bestimmte Menschen?«
Simias lächelte verschmitzt und deutete mit seinen Händen zwei Kugeln vor seiner Brust an. »Frauen. Um genau zu sein, Hexen.«
Cale runzelte die Stirn. »Das ist dein Ernst?«
»Du hast dich an mich gewandt, weil ich Experte in diesen Dingen bin, oder?«, erwiderte Simias.
Cale seufzte und bedeutete ihm, fortzufahren.
»Hexen haben einen anderen Zugang zu Magie als sonst irgendein Wesen. Unsereins bezieht seine Kraft aus allem Göttlichen und dem Schöpfer. Aber die Hexen«, er pfiff leise, »sie haben es geschafft, eins mit der Schöpfung zu werden. So sehr, dass sie dadurch Fähigkeiten erhielten, von denen unsereins nur träumen kann.«
In seinem Kopf hörte Cale Caes höhnisch auflachen, aber er selbst blieb ernst. »Und was genau bewirken diese Fähigkeiten?«
»Das weiß keiner genau. Hexen teilen ihr Wissen nicht einfach so mit Fremden. Aber über das Blutlesen wird gesagt, dass diejenigen, die es beherrschen, das Ende eines jeden Wesens und jeder Kreatur nacherleben können.«
Cale fuhr sich über das Gesicht.
› Was, wenn sie herumschnüffelt, weil sie den Tod von Lexa oder Ezekiel gesehen hat? ‹
»Vielleicht«, murmelte Cale. »Ist das alles?«, fragte er, an Simias gewandt, und der nickte. »Gut, versuch trotzdem, noch mehr herauszubekommen. Ich will alles wissen, was du über die Fähigkeiten der Hexen und vor allem über das Blutlesen herausfinden kannst. Morgen komme ich noch einmal her und dann hoffe ich, du hast noch etwas für mich.«
»Das war es aber dann mit dem Gefallen.«
Cale erwiderte nichts und lief einfach aus dem Club.
Zwischenspiel
Nebel bauschte sich zu dichten Schwaden und trug Gerüche nach Garküchen, ungewaschenen menschlichen Körpern und Benzin mit sich. In der Mitte des Hinterhofs verdichtete er sich, wand sich in Spiralen unter dem Licht der einzigen Lampe und wurde dann durch eine Gestalt auseinandergerissen, die
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