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Die Schattenseherin: Roman (German Edition)

Die Schattenseherin: Roman (German Edition)

Titel: Die Schattenseherin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Hunter
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musste, und sie bemühte sich, irgendwo unter den Blutspritzern eine Tätowierung zu finden. Tatsächlich wurde sie direkt auf seinem Solarplexus fündig. Eine winzige, runenähnliche blauschwarze Bemalung, die durchgebrochen worden war. Das Herz fehlte.
    »Das war mal so ein ruhiges Pflaster hier«, brummte Georg neben ihr. Georg war einer der älteren Polizisten aus Adrians Wache, und er bevorzugte ruhige Dienste hinter dem Schreibtisch. Manchmal musste er aber doch raus auf die Straße, so wie heute Nacht.
    Zoe nickte abwesend. »Schlimm, so was«, erwiderte sie. »Ich meine, drei Leute in wenigen Tagen, denen das Herz fehlt.«
    Georg hob fragend die Augenbraue. »Drei? Was weißt du, was ich nicht weiß, Charm?«, grinste er schief.
    Zoe winkte ab. »‹Tschuldige, da hab ich mich wohl vertan.«
    Georg lächelte, warf einen kurzen Blick auf den Leichnam, wobei ihm sein Lächeln schnell wieder verging, und wandte sich dann ab, um einen neugierigen Zuschauer wegzuscheuchen.
    Zoe spürte ihr eigenes Herz rasen. Die Leiche in der Agentur war noch gar nicht entdeckt worden! Das bedeutete, dass jemand sie fortgeschafft hatte. Der Mörder? Oder einer der Mitarbeiter der Agentur?
    Zoe konnte förmlich spüren, wie ihre Wangen sich vor Aufregung röteten, hoffte aber, dass niemand es bemerken würde. Hastig machte sie die letzten Fotos und packte ihre Tasche. Sie winkte, auch in Adrians Richtung, doch der sah sie nur mit starrem Blick an und widmete sich dann wieder seinem Notizblock.
    Dumas wartete bereits an der Hintertür der Agentur auf sie. Sein Blick war kühl, und Zoe fühlte sich wie eine Schülerin vor dem Rektor. Dabei plagte sie ihr eigenes schlechtes Gewissen schon genug. »Der Polizei ist keine Leiche hier bekannt«, sagte sie nach einer kurzen Begrüßung und deutete auf das Haus. »Glauben Sie, der Mörder hat sie fortgeschafft?«
    »Ich gehe ziemlich sicher davon aus.« Auf Dumas’ makellosem Gesicht erschien tatsächlich so etwas wie leise Besorgnis. Er musterte das Haus und legte seine Hand dann auf den Türknopf. Zu Zoes und, wie es schien, auch Dumas’ Verwunderung ließ sie sich einfach aufschieben. Zoe hatte mit Gestank und Schwaden von Fliegen gerechnet – immerhin war sie aus ihrer Zeit als Tatortfotografin so einiges gewöhnt, aber alles, was sie roch, war ein wenig abgestandene Luft und Staub.
    Sie wartete nicht auf Dumas, sondern trat einfach ein, und er protestierte nicht. Stattdessen blieb er hinter ihr im Eingang stehen und drehte suchend den Kopf hin und her. »Vielleicht sollten wir uns aufteilen«, schlug er vor, den Blick auf den Flur gerichtet. Er deutete auf die Treppe, die von dort abging.
    Zoe nickte, zum Zeichen, dass sie das für eine gute Idee hielt, doch bevor sie in den ersten Stock hinaufgehen konnte, hielt der Engel sie zurück. »Bevor wir hier weitermachen, sollten Sie vielleicht erst einmal Ihrer Arbeit nachgehen. Oder haben Sie es vergessen?«
    Sie knirschte deutlich mit den Zähnen und krampfte ihre Hand um ihren Daumen, an dem noch das Blut des Toten klebte. Sie hatte es nicht vergessen, ganz und gar nicht, aber alles in ihr sträubte sich, sich ihrer eigenen Schuld zu stellen. Sobald sie von dem Blut gekostet hatte, würde das Opfer für sie einen Namen bekommen, ein lebendiges Gesicht, und würde so zu einer Person werden. Einer Person, an deren Ableben sie Schuld hatte.
    Dumas’ Hand legte sich auf ihre Schulter. »Quälen Sie sich nicht so, Zoe«, sagte er mit nahezu sanfter Stimme. »Unser Mörder hat den Entschluss zu töten allein gefasst, und Sie haben bisher viel getan, um ihm das Handwerk zu legen. Dass ein weiteres Mitglied aus unserer Mitte gestorben ist, ist furchtbar, aber Sie werden dem Opfer nicht helfen können, wenn Sie seinen Tod ungesühnt lassen.« Er beugte sich zu ihr. »Trinken Sie, Zoe.«
    Flehend sah sie ihn an, aber sie wusste, dass er recht hatte. Wenn sie einfach die Augen verschloss, würde sie die Sache nur schlimmer machen. Aber wenn sie sich jetzt dem Blutlesen ergab, musste sie sich auch eingestehen, dass sie nicht nur allein Angst vor der Schuld hatte. Da war noch etwas anderes – sie fürchtete sich davor, Cales Gesicht zu sehen, wenn sie das Blut trank. Es war lächerlich, irrational und dumm, aber sie konnte einfach nicht verhindern, dass die Erinnerung an ihre Träume sich mit seinem Anblick überlagerte.
    Wenn sie an ihn dachte, schmeckte sie seine süßen Küsse, verlor sich in seinem erdigen, würzigen Duft und wünschte sich

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