Die Schattenseherin: Roman (German Edition)
Ihr Körper zitterte in seinen Armen, und ihr weicher Bauch drückte sich gegen seinen Schritt. Er spürte, wie sein Körper darauf reagierte, und versuchte, möglichst flach zu atmen. Zoes Angst war wichtiger.
Nur langsam erlahmte ihre Abwehr, während er sie einfach bei sich hielt und ihr durch das Haar und über den Rücken strich. »Ich bin hier«, flüsterte er dabei an ihrem Scheitel und küsste ihn. »Es wird nicht wiederkommen, ich verspreche es.«
Sie schienen für eine Ewigkeit so dazustehen, aber Cale erschien es immer noch zu kurz, als sie den Kopf hob und ihn ansah. Noch immer sah er diese Angst in ihren Augen und diese große Wunde in ihrem Innern, die sie sonst so sorgfältig zu verbergen wusste, wenn sie unter Leute ging. »Warum hast du das gemacht?«, fragte sie ihn. »Wie kannst du so grausam und gleichzeitig so ...« Sie stockte. »Anders sein«, vollendete sie den Satz schließlich, auch wenn Cale ahnte, dass dies nicht das Wort war, das sie wirklich gemeint hatte.
»Ich bin ich«, erwiderte er, weil er nicht recht wusste, was sie meinte.
»Du bist ...«, abermals stockte sie und tastete sich über die Brust, wie um zu fühlen, ob dort noch Spuren dieser anderen Kreatur zu finden waren. Cale legte seine Hand auf ihre und sah sie an. »Ich bin hier«, sagte er einfach, um sie von ihrem Albtraum abzulenken. »Wie ich es versprochen habe.«
Erleichtert bemerkte er ein Lächeln auf ihren Lippen. »Ja«, erwiderte sie schließlich. »Lass nicht mehr zu, dass der andere wiederkommt.«
Cale wusste, er sollte diese letzte Nacht nutzen, um endlich Gewissheit über Zoes Part in diesem Mordspiel zu bekommen, aber er konnte ihr Vertrauen in ihn einfach nicht ausnutzen. Er ließ seine Hand auf ihren weichen Fingern liegen und schenkte ihr ein wenig Ruhe durch einen Kuss. Er war sanft, unschuldig. Cale hatte bisher erst eine Frau auf diese Weise geküsst, und es überraschte ihn selbst, wie sehr er es genoss, ihr einfach auf diese Weise nahe zu sein. Zufrieden bemerkte er, dass sie seinen Kuss erwiderte, ihrerseits ihre weichen Lippen gegen seine drückte und ihren Körper vertrauensvoll an ihn schmiegte. Er hielt sie ein wenig fester und spürte, dass ihr Mund sich ihm öffnete. Seine Zunge folgte der schlichten Aufforderung und drang in sie ein, erkundete sie, tastete und schmeckte.
Irgendwo protestierte Caes, aber er war weit genug fort, um Cale nicht zu stören. Dies hier war Zoes Traum, und hier waren nur sie beide. Das war es, was zählte. Nur das.
Sie löste den Kuss, um ihn anzusehen. »Gib mir etwas von dir«, sagte sie.
Cale blickte sie überrascht an. »Was?«
»Gestern habe ich dir etwas offenbart. Heute möchte ich etwas von dir haben«, erwiderte sie schlicht.
Er schüttelte den Kopf. »Das geht nicht.«
Sie lächelte, als hätte er etwas sehr Dummes gesagt. »Aber natürlich geht das. Sieh nur.« Bevor er registrierte, was sie da tat, hatte sie mit einem Fingernagel die Haut über der Halsschlagader angeritzt und war mit der Zunge über den dünnen roten Spalt gefahren.
»Nein!«, schrie er auf, als er verstand, was sie da tat, aber es war bereits zu spät.
Es war seltsam, im Traum Blut zu lesen. Zoe hatte es noch nie getan, aber dieser Traum war viel zu sehr mit den Ereignissen der letzten Tage verknüpft gewesen, als dass sie ihre Handlungen bewusst steuern konnte. Es war ihr nur natürlich erschienen, Cales Blut, das des anderen Cale, nicht das desjenigen, der ihr Herz herausreißen wollte, zu trinken, auch wenn es keinen Sinn machte. Er war nicht tot. Was sollte sie in seinem Blut finden?
Zu ihrer eigenen Überraschung und zu ihrem Entsetzen setzte aber der vertraute Sog ein und zerrte sie, wie es schien, Ewigkeiten zurück. Ein Teil von Cale musste also gestorben sein, das wusste Zoe mit traumwandlerischer Sicherheit. Einmal mehr verlor sie jede Kontrolle über sich und fand sich selbst in einem Körper wieder, der offensichtlich einem Mann gehörte. ›Cale‹, erklang es in ihrem Kopf, und Zoe sah sich rasch um. Sie befand sich in einem altmodisch wirkenden Schlafzimmer, irgendwo auf dem Land. Die Wände waren in der typischen Manier der Highlands erbaut – grob behauene Steinquader auf dünnem Mörtel. Es war kalt trotz des Holzofens, der in der Ecke des Raums stand. Außer einem großen Bett und zwei Hockern befand sich nichts weiter im Raum. Cale saß neben dem Bett auf einem der Hocker. Er hielt die Hand einer jungen Frau, die fast ebenso weiß war wie die Laken, auf
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