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Die Schattenträumerin

Die Schattenträumerin

Titel: Die Schattenträumerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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Enkelin den Namen Medici.«
    Der alte Mann musterte Francesca so eindringlich, dass ihr unbehaglich wurde. Sie kniff ihre Lippen zusammen. Fiorella hätte sie ruhig vorwarnen können, dass Baldini so ein seltsamer, alter Kauz war!
    »Du hast dunkle Schatten unter deinen Augen«, stellte er fest. »Du … du schläfst schlecht. Dich plagen Albträume, nicht wahr?« Etwas in seiner Stimme hatte sich verändert. Es lag so viel Mitgefühl und Bedauern in seiner Frage, dass es Francesca für einen Moment das Herz zusammenzog. Aber wie konnte er von ihren Albträumen wissen? Das war absolut unmöglich. Trotzdem hatte sie plötzlich das starke Verlangen, ihm die Wahrheit zu sagen. Vielleicht, weil es manchmal einfacher war, sich einem Fremden anzuvertrauen.
    »Ja, fast jede Nacht. Und hier in Venedig sind die Albträume besonders schlimm.«
    Ihr entging nicht, dass Baldini blass geworden war. Er fuhr sich über das Gesicht. »Es beginnt von Neuem«, meinte Francesca ihn murmeln zu hören.
    »Wie bitte?«
    Erschrocken sah er auf, als habe er für einen Moment vergessen, dass das Mädchen anwesend war. »Nichts. Es ist nichts.«
    Er nahm ihr das Buch von Lovecraft aus der Hand und stellte es zurück ins Regal. »Trotzdem ist dieses Buch nichts für dich und Liebesromane, Pferdegeschichten oder anderen Teenagerfirlefanz führe ich nicht.«
    Francesca reckte trotzig ihr Kinn. Sie konnte es überhaupt nicht leiden, wenn Menschen ein Urteil über sie fällten, ohne sie zu kennen. »Sie täuschen sich. Ich habe diese Kurzgeschichten von Lovecraft nämlich schon gelesen, aber natürlich nicht in solch einer wertvollen Ausgabe.«
    »Ach ja?« Baldini blinzelte sie über seine Brille hinweg skeptisch an. »Und wie findest du seine Geschichten?«
    Francescas Augen blitzten auf. Anscheinend wollte Baldini sie testen. »Er ist sehr fantasievoll, wenn es darum geht, Angst und Schrecken zu erzeugen. Nur ist man beim Lesenmeistens schon eingeschlafen, bis es endlich so weit ist. Sein Stil ist etwas … langatmig.«
    Baldini warf ihr einen erstaunten Blick zu. »Wahre und offene Worte für so ein junges Mädchen«, sagte er schmunzelnd. »Aber ganz im Vertrauen: Ich bin auch schon des Öfteren über einer seiner Geschichten eingenickt.«
    Er verließ das Separee und Francesca folgte ihm zum Tresen. Wortlos nahm er das Essen aus der Box entgegen, ließ sich schwerfällig auf einen abgewetzten Stuhl sinken und öffnete den Deckel der Aluminiumschale. Sofort war die Luft erfüllt von Violas leckerer Soße. In Olivenöl gebratene Tomaten, Knoblauch, Basilikum und Thymian drängten den modrigen Geruch des Antiquariats zurück in die Regale.
    »Die Pasta ist fast kalt.« Der Tadel in Baldinis Stimme war unüberhörbar.
    »Tut mir leid, ich habe das Antiquariat nicht auf Anhieb gefunden«, entschuldigte sich Francesca. »Es liegt sehr versteckt.«
    »Ich hab es nicht so gern, wenn andauernd Leute in meinem Laden herumstehen und meine Schätze befingern.«
    Erstaunt sah Francesca ihn an. Für einen Geschäftsmann war dies eine außergewöhnliche Einstellung.
    »Ich habe mich auf das Beschaffen seltener Bücher spezialisiert, wie du gesehen hast, im Speziellen mystische Bücher aus dem Mittelalter«, erklärte er ihr, während er lustlos in seiner Pasta herumstocherte. Er schien keinen großen Hunger zu haben. »Unter Liebhabern dieses Genres herrscht eine große Nachfrage nach gut erhaltenen Erstausgaben.Manchmal beauftragen mich die Leute auch, nach einem verschollen geglaubten Buch zu fahnden.«
    »Dann sind Sie so etwas wie ein Detektiv für Bücher? Ein Bücherjäger?«, fragte Francesca begeistert.
    »Wenn du es so nennen willst.« Baldini lächelte. »Dadurch habe ich übrigens deinen Großvater kennengelernt. Er war ebenfalls so ein Bücherjäger  – wenn er es auch nur als Hobby für seine eigene Sammlung betrieben hat.«
    Francesca konnte ihre Überraschung nicht verbergen. Davon hatte ihre Großmutter nie erzählt. Natürlich wusste Francesca von Großvaters Büchersammlung, die verschlossen hinter der Vitrine in Fiorellas Zimmer stand. Aber sie hatte vermutet, dass es sich dabei um vererbte Erinnerungsstücke der Familie handelte und die Bücher einen rein nostalgischen Wert hatten. Sie hätte nie geahnt, dass sich darin literarische Schätze verbergen könnten.
    Baldini legte seine Gabel zur Seite und sah sie aufmerksam an. »Ich bin neugierig. Ist dir nur aus Zufall ein Gruselbuch wie das von Lovecraft in die Hände

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