Die schlafenden Hüter - Das Marsprojekt ; 5
zu gut kannte – heimliche Sympathisanten der Bewegung, die er auch schon für seine Absichten einzusetzen versucht hatte –, bombardierten den Präsidenten mit Argumenten, warum dieses Treffen unbedingt stattfinden müsse. Andere Abgeordnete hatten vehement Gründe ins Feld geführt, warum es auf keinen Fall infrage komme. Und natürlich hatte einem jeder eine andere Uhrzeit gesagt, zu der es stattfinden sollte, falls es stattfinden sollte.
Doch abends um zwanzig Uhr Ortszeit war es dann tatsächlich so weit: Im Blauen Saal der Präsidentenvilla saßen sich Vertreter der Regierung und Vertreter der Heimwärtsbewegung gegenüber und musterten einander skeptisch.
Bjornstadt saß so, dass er die Sprecherin der Gegenseite, eine sehr schlanke sehr blonde Frau mit einem Feuermal auf der Stirn, in aller Ruhe betrachten konnte, ohne dass es auffiel. Dina Puriakis hieß sie, eine Griechin, doch sie erinnerte Bjornstadt paradoxerweise an ein Mädchen aus seinem Geburtsort in Schweden, eine Klassenkameradin, die später einen isländischen Walpfleger geheiratet hatte.
Es war wie immer bei solchen Besprechungen in großer Runde: Man sortierte seine Unterlagen, wechselte belanglose Bemerkungen mit seinen unmittelbaren Tischnachbarn oder widmete sich in höchster Konzentration dem Eingießen von Mineralwasser in sein Glas – bis alle Türen endlich geschlossen waren und die Abschirmung eingeschaltet wurde. Dann trat gespannte Stille ein. Der Präsident begrüßte die Runde mit ein paar kurzen Worten und erteilte der Sprecherin der Heimwärtsbewegung mit einer Geste das Wort.
»Herr Präsident, meine Damen und Herren Minister, verehrte Anwesende«, begann die Frau mit grimmigem Ernst, »ich will ohne Umschweife zur Sache kommen. Wissenschaftler, die unserer Bewegung nahestehen, haben aufgrund der jüngsten Funde eine Theorie aufgestellt, die – in groben Umrissen natürlich erst – erklärt, was vor Jahrtausenden hier auf der Erde geschehen ist. Wir haben um dieses Treffen gebeten, um Ihnen besagte Theorie darzulegen, und wir hoffen, damit für das, was wir in der aktuellen Situation für das Beste halten, Ihre Unterstützung zu finden.«
Sie nickte dem Mann zu, der neben ihr saß, einem breitschultrigen, vollbärtigen Hünen, der mit so tiefer Stimme sprach, dass man den Eindruck hatte, die Tischplatte vibriere.
»In dem altindischen Epos Mahabharata , von dem wir wissen, dass es weit über fünftausend Jahre alt sein muss – älter also als die Besiedelung Mesopotamiens, die gemeinhin als Beginn der Hochkulturen angesehen wird –, wird unter anderem erzählt, dass eine göttliche Waffe gegen das Volk der Vrischni eingesetzt wird. Es wird erzählt von einem Blitz, heller als tausend Sonnen, der Menschen und Tiere zu Staub zerfallen lässt. Es wird erzählt, dass Menschen unter furchtbaren Qualen leiden, dass ihnen die Fingernägel und die Haare ausfallen. Es wird erzählt, dass Tontöpfe ohne sichtbaren Anlass zerfallen. Es wird erzählt, dass selbst das Reinigen der Kleider und Körper nichts half und dass überlebende Frauen häufig Fehlgeburten erlitten.« Er machte eine dramatische Pause und sah einmal in die Runde, ehe er fortfuhr. »Früheren Generationen müssen diese Schilderungen wie rätselhafte Phantasmen vorgekommen sein. Doch wir wissen seit jenem Tag vor nunmehr hundertzweiundvierzig Jahren, an dem die erste Atombombe über Hiroshima explodierte, was für eine Waffe hier in erschreckender Genauigkeit beschrieben wird. Wir besitzen diese Art Waffe heute selber.«
»Allerdings«, hörte Bjornstadt den Minister für Sicherheit, der neben ihm saß, nahezu unhörbar murmeln.
Er konsultierte die Sitzordnung. Der Mann mit der tiefen Stimme hieß Avgostino Cholakov und war Professor für Geschichte an der Universität von Sankt Petersburg.
»Doch wie war es möglich, dass Menschen vor über fünftausend Jahren bereits etwas von derartigen Waffen wissen konnten?«, fuhr Cholakov fort. »Unserer Ansicht nach ist die einzige Erklärung dafür die, dass in diesen Erzählungen und Bildern des Mahabharata eine kollektive Erinnerung bewahrt worden sein muss an ein ungeheuerliches Ereignis, dessen Spuren in diesen Tagen gefunden werden: die Erinnerung an einen Krieg, den Außerirdische auf unserem Planeten geführt haben. Doch aus welchem Anlass? Mit welchem Ziel? Das haben wir uns gefragt und wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass der Krieg vor einer Million Jahren einer bereits damals bestehenden, mit unserer
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