Die Schlaflosen
aufgedunsenen Gesicht. Auch hier ist der Mund geöffnet, aber nicht süà wie bei der Moll, sondern die Lippen fallen nach innen, als fehle die Zahnreihe dahinter, und Rottmann wundert sich über den Umfang des aufragenden Bauchs zwischen auseinandergefallenen RockschöÃen und halb geöffnetem Hemd, das einen erhabenen Nabel freigibt und an Figuren alter holländischer Meister erinnert, auf denen Männer breitbeinig ihren Rausch ausschlafen.
Bülow erhebt die Stimme, meine Damen und Herren â¦
Er entschuldigt sich für den Professor, der ja nun leider tatsächlich nicht zu kommen scheine. Seine Hoffnung, dass nach dem groÃen Stau auf der Autobahn, in dem er selbst sechs Stunden eingeschlossen gewesen sei, sich auch das Rätsel des Professors lösen würde, sei nun dahin. Er habe noch einen letzten Versuch zur Aufklärung unternommen und nachgeforscht, ob der Erwartete vielleicht einer der Unfallbeteiligten gewesen sei.
Man kann ja nie wissen!
Aber diese Frage sei nun eindeutig mit Nein zu beantworten. Und somit seien leider alle Fragen offen, niemand wisse, wo sich der Herr Professor befinde. Er, Bülow, könne der Gesellschaft nur noch anbieten, alles zu tun, dieser Nacht eine positive Wende zu geben, indem er die Küche bis morgen früh offen halte, damit die, die nun wirklich gar kein Auge zutun könnten, die Gelegenheit hätten, sich jederzeit mit leiblichen Genüssen darüber hinwegzutrösten. Auch werde die Sauna, die von einigen Gästen bereits getestet und für gut befunden worden sei, in Gang gehalten.
Wie auch für Unterhaltung gesorgt sei, ein Zauberkünstler sei eigens zu diesem Zweck nach Sezkow gekommen, damit die Gäste sich nicht langweilen.
Vielleicht könne man ja die Nacht unter dem Motto âºAus der Not eine Tugend machenâ¹ begreifen â er seinerseits seine Frau sowie Herr Sandow und das ganze Sezkow- Team stünden den verehrten Anwesenden mit allem, was in seiner Macht stehe, zur Verfügung. Es falle ihm nun leider auch nichts mehr ein als zu einem fröhlichen CARPE NOCTEM aufzurufen. Und da die Nacht dem Paradies näher sei als der Tag, wolle er seinen persönlichen Beitrag dazu leisten, indem er aus seinem privaten Weinkeller ein paar Flaschen seines besten, berühmtesten Weines heraufholen und der Gesellschaft spendieren wolle â den âºLes enfants du paradisâ¹, der mehrere Medaillen gewonnen habe und einem die Kehle hinuntergleite wie der liebe Gott in roten Samthosen.
Bülow verbeugt sich gekonnt, wie er es als Junge gelernt hat, und ist in diesem Moment seiner Erziehung dankbar, denn irgendwie hat er das Gefühl, über dem ganzen Schlamassel zu stehen. Selbst dass der Zauberer nun eine Rolle für den Abend zugeteilt bekommen hat, ist ihm in diesem Moment beinahe egal, wenn nur alles im Rahmen bleibt und funktioniert.
Seine Frau hat er fürs Erste ins Bett geschickt. Sie war, nachdem sie die überall verstreuten Gäste zusammengetrommelt hatte, beinahe zusammengebrochen vor Müdigkeit. Er hat sie nach oben in die gemeinsame Wohnung unterm Dach begleitet, hat gewartet, bis sie Schuhe und Rock ausgezogen und sich hingelegt hatte. Wie schwer ist es ihm da gefallen, seinen Kopf aus ihrem Haar zu heben und sich von ihrem seligmachenden Geruch zu lösen. Am liebsten wäre er bei ihr liegen geblieben und hätte seine Hand auf ihren Leib gelegt, auf ihr gemeinsames Kind.
Später will sie wieder aufstehen, das hat er ihr nicht ausreden können. Und es wird auch dringend nötig sein, das weià Bülow schon jetzt, nämlich wenn all diese Leute tatsächlich nicht schlafen können.
Was Margot sieht
Von ihrem Sitz auf der Empore im blauen Salon beobachtet Margot die da unten schlafende Moll. Margot ist der Gesellschaft nicht gefolgt, als diese sich in den Raum nebenan bewegt hat, es war ihr zu anstrengend. Stattdessen ist sie auf ihrem Platz geblieben, hoch über dem Geschehen, möglicherweise war sie auch kurz eingenickt, das weià sie nicht so genau. Jetzt, wo es still geworden ist da unten, ist sie aber hellwach. So ist das nicht selten bei ihr, dass sie beim Lärm menschlicher Stimmen einschläft und bei Stille aufwacht â diese unnatürliche Reaktion, die sie gezwungen hat, über das Rätsel ihrer selbst nachzudenken. Ein Psychotherapeut hat sie darauf gebracht, dass dahinter ihre Furcht vor Menschen stecken könne, infolge derer
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