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Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kolb
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Runde.
    Friederike zieht genervt die linke Braue hoch und steht auf, um sich ein Glas Rotwein zu holen. Sie hat gar nichts von dem im Kerzenlicht aufgetischten guten Essen zu sich genommen, denn ihre Linie ist ihr wichtiger als – sagen wir, nicht alles, aber vieles. Auf jeden Fall will sie jetzt, nach dem schon viel zu üppigen Abendessen, nur noch trinken. Und da dieser Rotwein ja so besonders sein soll, lässt sie sich einschenken, versenkt die Nase in das bauchige Glas und blickt nach oben zur Empore, wo sich ihr soeben ein Mann präsentiert hat, der gerade dabei war, sich die Hose zu schließen. Es war eindeutig. Ein Anblick, den sie im ersten Moment für unwirklich hielt, aber nur im ersten Moment. Sie brachte so etwas wie ›Pardon!‹ hervor und flüchtete rückwärts die Wendeltreppe hinunter, weniger peinlich berührt als baff erstaunt. So was hätte sie hier nicht erwartet, und sie fragt sich, in welche Gesellschaft sie geraten ist. Vielleicht ist die ganze Veranstaltung ja ein als Seminar getarntes Treffen von irgendwelchen Perversen, Sexmaniacs, die wer weiß was treiben? So was hat man ja schon gehört. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Eine Falle, in die selbst der seriöse Kollege Mulik hineingetappt sein könnte. Wenn er nicht doch als Spion der Versicherungsgesellschaft hier ist. Ein bösartiges Spiel jedenfalls. Sie stieg die Treppe zurück und mischte sich unter die Tanzenden, um die verrückten Gedanken zu vertreiben. Das beruhigte sie. Aber jetzt, wo der Kollege Norbert mit dem Finger auf sie zeigt und sein Gelaber loslässt, kommen ihr wieder Zweifel.
    Oh Mensch, gib Acht, ruft Norbert pathetisch aus, was spricht die tiefe Mitternacht … und er fuchtelt mit seinem Zeigefinger.
    Das Weib ist tief, und tiefer, als der Mann gedacht …
    Die Welt ist ein Irrtum … die Welt ist ein Missverständnis … so geht es weiter. Die ganze Welt ist ein einziges Missverständnis, und auch wir, die Schlaflosen, sind lebende Irrtümer – Billionen von Synapsen und nichts als Missverständnisse … immer meint man, der Mensch braucht klare Konturen, aber erst wenn alles verschwimmt und man frei ist von dem Missverständnis und seinem Gegenteil, wenn man überhaupt kein Interesse daran hat, was richtig ist und was nicht, dann kann man wieder schlafen … Wo war ich steckengeblieben? Was spricht die tiefe Mitternacht?
    Meine Damen und Herren, welches Genie hat Ohropax erfunden? Es war ein gewisser Maximilian Negwer, dem Himmel sei Dank! Zauberer, wo bist du? Ich schlief, ich schlief – schon lange her …
    Na, schöne Pillenfresserin, haben Sie das nicht gewusst?
    Ein Hoch auf die Schwermut der Mäuse!
    Und er springt auf und torkelt auf Friederike zu, die im Sofa liegt und regungslos mit gespreizten Fingern den verrückten Kollegen von sich entfernt zu halten versucht.
    Ich habe Angst … solche Angst!
    Wovor denn?, fragt Friederike plötzlich besorgt.
    Ich habe Angst, dass mein Funke nicht auf dich überspringt, jammert er, indem er sich auf den Boden neben der nun mit angezogenen Beinen in Schutzhaltung lauernden Friederike niederlässt und den Kopf neben sie auf das Polster legt. Seine Stimme klingt, als würde er gleich losheulen.
    Was kann ich nur tun, dass du mich erhörst? Täubchen! Was kann ich nur machen? Weißt du, was passiert, wenn ein Atom mit einem Photon zusammenkommt? Du erlesenes Lichtteilchen, du? Willst du nicht, dass wir uns in einen quantenmechanischen Schwebezustand versetzen? Wenn alles schwebte, dann könnten wir schlafen! Ach wenn du wüsstest, wie herrlich die Gleichzeitigkeit einander ausschließender Zustände sein kann! Ich liebe, ja, und du liebst nicht – ein Glück, größer geht’s nicht. Lust tiefer noch als Herzeleid: Weh spricht: Vergeh!
    Friederike lacht. Eigentlich ganz komisch, was er da von sich gibt, denkt sie. Trotzdem entwindet sie sich seiner schon fast bei ihr angelangten Hand, im Nu ist sie aufgesprungen und entkommt über die Sofalehne, während der Verlassene weiter japst und jammert und schwafelt und labert. Bis er seine Niederlage erkennt, sich erhebt und feierlich weiterdeklamiert.
    Oh Mensch, gib Acht, ruft er aus, Oh Mensch, gibt Acht, in deinem Hirn ist Mitternacht … man stirbt einen Tod, man weiß nicht, welchen, vielleicht ein schmuckes Schlaganfällchen, kichert er und sieht dabei aus wie Klaus Kinsky. Ach,

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