Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
schien unschlüssig, was er sagen oder tun sollte. Schließlich verabschiedete er sich höflich und unverbindlich von ihr und ritt noch in der gleichen Stunde gen Armenien, wo er als König regieren würde.
Als er gegangen war, fühlte Salome Erleichterung wie auch Traurigkeit. An der Kette hielt sie sich noch den ganzen Tag fest und legte sie entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit nicht einmal in der Nacht ab, in der sie abwechselnd an Timon dachte – und an Aristobul.
Rabban Efraim würde sie uneingeschränkt vermissen. Er war der Mann, der sie gelehrt hatte, den Glauben aus einer anderen Perspektive zu sehen, nicht als bloßes Regelwerk für sittliches und religiöses Verhalten, sondern als verbindendes Element. Was andere in ihr zerstört hatten – den Glauben an Gott -, hatte er wieder zum Leben erweckt. Und er gab ihr das Vertrauen zurück, dass sie mit viel Beharrlichkeit und Kraft etwas verändern könne in dem Land, das ihre Heimat war und dem sie heute entgegenreiste.
Er saß neben ihr auf dem Wagen, als sich der Prunkzug, mit dem Agrippa verabschiedet wurde, von Rom aus nach Ostia in Bewegung setzte, bejubelt vom römischen Volk, das sich diese Gelegenheit zum Feiern nicht entgehen ließ. Noch einmal streute Agrippa sackweise Goldmünzen in die Massen und genoss den Beifall.
Efraim sah dem Treiben skeptisch zu. »Das musst du ihm abgewöhnen, wenn ihr in Judäa seid«, seufzte er kopfschüttelnd. »Ein wahrer König hat so etwas nicht nötig.«
Er sparte in diesen letzten gemeinsamen Stunden nicht mit Ratschlägen.
»Denke daran, mein Kind, Völker lernen langsam und zögerlich, manchmal brauchen sie Jahrhunderte, um eine einzige Sache zu begreifen. Du wirst Geduld haben müssen.«
»Zweihundert Jahre werde ich wohl nicht schaffen«, scherzte sie.
»Jemand muss den Anfang machen. Der Preis für den Erfolg wird sein, dass du stets in Agrippas Schatten bleiben musst, ein Geist, unsichtbar für das Volk. Wenn das Volk merkt, dass Agrippa schwach ist …«
In diesem Sinn ging es während des gesamten Weges nach Ostia weiter. Während Agrippa nicht müde wurde, zu winken und zu lachen, besprachen Efraim und Salome, wie er am besten regieren solle.
In der Hafenstadt angekommen, wurde Efraim stiller. Man sah ihm deutlich an, wie schwer ihm der Abschied fiel.
»Ich wünschte«, sagte er mit belegter Stimme, »dass ich mitkommen könnte.«
»So komm doch mit. Auf diese Weise könntest du Judäa wiedersehen.«
Er nahm ihre Hände ein letztes Mal in seine. »Wenn ich in deine Augen blicke«, erwiderte er, »sehe ich Judäa.«
Als sie in Ostia das Schiff bestiegen, war es schon später Nachmittag, und die Sonne stand tief am Horizont. Berenike, Gilead, Agrippinos und Salome winkten von der Reling aus den Zurückbleibenden zu, nur Agrippa sonderte sich ab. Die Fröhlichkeit, die er eben noch bei dem Prunkzug gezeigt hatte, verschwand wie das Tageslicht mit jedem Augenblick etwas mehr.
Salome bemerkte die Veränderung. »Winke ihnen«, bat sie. »Sie wollen ihren König verabschieden.«
»Ich will kein König sein«, erwiderte er beinahe schroff. »Ich bin ein Spaßvogel, ein Lebemann. Ich bin nie dazu erzogen worden, ein Szepter zu halten, sondern nur Weinkelche und Frauenbrüste. Wie soll ich da ein Land regieren, ein Volk? Das kann nicht gut gehen.«
»Du wirst dich schnell eingewöhnen«, sagte sie. »Und ich bin ja auch noch da.«
Salome konnte ihn nicht beruhigen. Schwermut umhüllte ihn wie ein dunkler Mantel. Er wandte sich ab, ging zum Heck des Schiffes und blickte zurück auf die Küste, die langsam verschwand. Diese Fahrt in die Abendsonne hinein war für Agrippa tatsächlich eine Reise in die Dämmerung, nur halb noch Licht und halb schon Dunkelheit.
ACHTER TEIL
Der letzte König
26
Als das Schiff nach elftägiger ruhiger Fahrt in den Hafen von Caesarea einlief, bot sich Agrippa und den anderen ein atemberaubendes Bild. Der Jubel Tausender empfing ihn schon von Ferne und schwoll mit jedem Augenblick mehr an. Männer, Frauen, Kinder, Greise winkten und hüpften, reckten die Köpfe und weinten, als sie die ersten Umrisse ihres Königs auf dem Bug des Schiffes sahen. Was für eine Kulisse bildete die Stadt! Weißer Marmor, breite, saubere Straßen, ein ovales Theater, alles umrahmt von sattgrünen Zedernwäldern. Im Hintergrund leuchteten die Berge Samarias im Licht der hoch am Himmel stehenden Frühlingssonne.
Agrippa war überwältigt. Die Melancholie der letzten Tage war wie
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