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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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macht«, zischte Kephallion leise durch die Zähne. »Eine Sünderin vor Gott.« Kephallion spuckte vor Salomes Füße. »Und du bist ihre Tochter. Du wirst einmal wie sie werden, noch viel schlimmer, denn du bist krank, hässlich und dumm und wirst dich jedem an den Hals werfen, der dich bloß kurz ansieht. Aber die Zeiten werden dann nicht mehr so gottlos sein, und du musst für deine Sünden büßen.«
    Kephallion griff nach ihrer Faust, öffnete sie und nahm die Münzen heraus. Er und die anderen Kinder gingen davon, nur Berenike blieb bei Salome und versuchte, sie mit Umarmungen und Worten zu trösten.
    »Mach dir nichts aus seinem Geschwätz. Er redet ständig so ein Zeug daher. Sein Vater schimpft immerzu mit ihm, deswegen ist er zu anderen so gemein. Das hat nichts mit dir zu tun.«
    Salome war wütend. Wieder war sie dumm genannt worden und konnte nicht das Gegenteil beweisen. Auf widerwärtige Weise hatte Kephallion die Wahrheit gesagt. Ja, sie war krank und hässlich und dumm und wusste nicht, was sie gegen die beiden ersten Übel tun sollte. Nur gegen das dritte Übel gab es ein Mittel. Sie wollte, nein, musste es bekommen. Alle am Hof sollten sehen, wozu sie fähig war.
     
    Durch die Gassen Jerusalems trieb Staub, vermischte sich mit dem Qualm schwelender Feuer, und Sadoq mittendrin. Er kämpfte sich über quer liegende Karren, umgestürzte Säulen und mit Nägeln gespickte Holzpfeiler voran. Manchmal glaubte er, ersticken zu müssen, und manchmal ließen ihn seine Beine und Arme im Stich, wenn er ein Hindernis überwinden oder mühsam umgehen musste. Seine Muskeln gehorchten ihm kaum mehr; er hatte schon die halbe Stadt durchquert.
    Als das Inferno losbrach, hatte er sich gerade auf der südlichen Mauer befunden, um einen Blick auf die Belagerer zu werfen. Eben noch hatte sein Freund Zelon sich über die Unfähigkeit der Soldaten des Archelaos lustig gemacht – die meisten davon griechische Söldner -, und im nächsten Moment krachte ein Geschoss keine zehn Schritte von ihnen entfernt in einen Turm und gleich darauf ein zweites in den unteren Teil der Mauer. Die Erde bebte unter den Steinbrocken, die nun im Takt eines Atemzuges einschlugen und auch das Stadtgebiet trafen. Manche der Katapultgeschosse zogen einen brennenden Schweif hinter sich her.
    »Ein Angriff! Ich muss zu meinem Vater«, rief Sadoq, doch Zelon hielt ihn fest.
    »Jetzt kämpfe mit uns. Gott will, dass wir einen Sieg erringen, und was Gott will, will auch dein Vater.« Zelon gab ihm ein Schwert in die Faust. Sadoq fühlte etwas Ähnliches wie damals, als er die Wache auf dem Tempelhof erstochen hatte. Das Schwert gab ihm Kraft, gab ihm Macht. Er mochte es. Doch er traute ihm nicht, oder besser, er traute sich selbst nicht. So warf er es wieder weg.
    »Du Verräter«, zischte Zelon ihn an, und vielleicht wäre er von ihm erschlagen worden, wenn ein Geschoss nicht unmittelbar neben ihnen eingeschlagen wäre. Sie fielen beide zu Boden. Staub und Geröll bedeckten sie. Beide waren unverletzt. Sadoq kam zuerst wieder auf die Beine und rannte davon. Zunächst nach Norden, in Richtung seines Elternhauses, doch dann brach die griechische Phalanx des Archelaos in die Stadt ein und streckte jeden nieder, der ihr vor die Lanzen kam. Brände und panisch fliehende Menschen hinderten Sadoq daran, schnell voranzukommen.
    So lief er noch immer durch Jerusalem. Auf den verwüsteten Straßen hielt er ab und zu eine der Gestalten an, die wie Geister aus dem gelben Staub auftauchten. »Vater?«, fragte er, oder: »Hast du meinen Vater gesehen?« Niemand wusste, wer Sadoqs Vater war, und jeder hatte mit sich selbst genug zu tun.
    Als die ersten Brände schon wieder erloschen waren, als sich die Schwaden über der Stadt Davids lichteten und der Himmel seine blaue Farbe langsam zurückgewann, stand Sadoq endlich vor seinem Elternhaus. Die vordere Fassade war zur Hälfte eingebrochen. Er betrat das Haus seiner Kindheit durch jenes Fenster, an dem er früher immer seiner Mutter beim Backen der Brote zugesehen oder durch das er seinem Vater zum Abschied zugewunken hatte. So wie heute. Der untere Sims war herausgebrochen, Sadoq ging durch das Fenster wie durch ein Tor. Die wenigen Möbel, die sie besaßen, waren umgekippt, die Luft im Haus war staubig und heiß. Hustend, die Augen zusammengekniffen, tastete Sadoq sich voran. »Vater?«, rief er.
    Er hörte ein leises Wimmern und lief so schnell wie möglich in den Nebenraum. Dort kniete eine Nachbarin neben

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