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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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klar.«
    Diese Bemerkung war wie eine dritte Ohrfeige, und die nahm Archelaos nicht einfach hin. Er trat einen großen Schritt auf Timon zu, der noch immer auf dem Schemel saß, packte ihn am Handgelenk und fauchte: »Du bist ein Narr. Glaubst du, du kannst so einfach nach Ashdod spazieren und Leute beschuldigen? Du bringst nicht nur dich in Gefahr, sondern auch mich, und das lasse ich nicht zu.«
    Timon befreite sich mit einem Ruck aus dem Griff. Es war, als habe etwas in ihm all die Jahre nur darauf gewartet, unsanft von Archelaos berührt zu werden. Er sprang auf. Ohne Mühe packte er Archelaos’ Handgelenk und verdrehte seinen Arm, so dass dieser aufstöhnte. »Hilfe«, rief Archelaos kläglich, und es waren genau dieses Wort, diese Stimme und dieser winselnde Tonfall, der Timon wieder an den Tod seines Vaters erinnerte. Er verstärkte seinen Griff, so dass der Ethnarch vor Schmerz auf die Knie sank. »Hilfe«, rief er noch einmal, und jetzt konnte Timon nicht mehr an sich halten. Lange unterdrückte Gefühle kochten in ihm hoch, Trauer, Schmerz, Ohnmacht, Schuld und der Zorn von Hunderten von Tagen, und ohne dass er es wollte, hob sich seine Hand und schlug mit unglaublicher Wucht auf die Wange des doppelt so alten Archelaos. Im nächsten Moment spürte er eine Befriedigung, die ihn wie kühles Wasser erfrischte.
    Der Ethnarch lag am Boden und verstand noch nicht, was geschehen war. Timon hingegen handelte schnell. Er pfiff seiner Stute Andromeda, die sofort den Wassertrog verließ und herbeitrabte. Noch während Archelaos sich mühsam aufrappelte und seine blutende Lippe betastete, sprang Timon von der Tribüne herunter und landete auf dem Rücken der gescheckten Braunen. Ein leichter Druck seiner Schenkel genügte, und die Stute galoppierte quer durch das Hippodrom, dann die Stufen der Zuschauerränge hinauf und durch einen der kleineren Ausgänge ins Freie.
    Timon blickte nicht nach rechts und links, als er durch die Straßen Jerusalems ritt, und er sah nicht ein einziges Mal auf die Mauern der Stadt zurück, so wenig, wie ein entflohener Vogel dem Käfig einen letzten Blick schenkt. Das alles war Vergangenheit, er wollte nie wieder hierher zurückkehren. Die nahe Zukunft hieß Ashdod.
     
    Salomes Stimme floss schon seit geraumer Zeit gleichmäßig und monoton in den cheder : »… und ich werde dafür sorgen, dass in eurem Land Frieden herrscht. Wenn ihr euch schlafen legt, braucht ihr nicht zu befürchten, dass euch jemand aufschreckt. Ich werde alle wilden Tiere in eurem Land ausrotten, und kein fremdes Heer wird in euer Land einfallen. Ich werde zur rechten Zeit Regen schicken, so dass die Felder reichen Ertrag bringen. Ihr werdet dann so viel ernten, dass die Dreschzeit sich bis zur Weinlese ausdehnt und die Weinlese bis zur nächsten Aussaat. Ich werde mich euch zuwenden und dafür sorgen, dass ihr viele Kinder bekommt und immer zahlreicher werdet. Ich werde bei euch bleiben und euer Gott sein. Gehorsam bringt Segen.«
    Zacharias und alle Jungen im cheder wiederholten den Satz aus der thora : »Gehorsam bringt Segen.«
    Salome wollte ihre Position am Pult verlassen, Zacharias jedoch wünschte, dass sie dort blieb und auch die nächsten Verse aus der thora vorlas.
    »Warum ausgerechnet ich?«, fragte sie, denn sie wollte sich drücken. Die folgende Passage lag ihr überhaupt nicht.
    »Weil du«, antwortete Zacharias bedächtig, »die Einzige hier bist, die die nächsten Verse noch nicht vorgelesen hat.«
    Salome schluckte, holte tief Luft und begann.
    »Buch Levitikus, Kapitel 26, Vers 14. Wenn ihr mir aber nicht gehorcht und meine Weisungen nicht befolgt, wenn ihr meine Gebote missachtet und …«
    Mit leisem Knarren öffnete sich die Tür des cheder , und zu Salomes Erstaunen lugte der Kopf eines blond gelockten Jungen durch den Spalt. Zacharias wandte sich um, machte eine Geste, als falle ihm etwas Vergessenes wieder ein, winkte den Jungen in den Raum und bedeutete ihm stumm, sich zu setzen.
    »Mach weiter, Salome«, bat er.
    Salome musterte den Jungen neugierig. Sein Aussehen deutete auf eine griechische Herkunft hin, was zunächst einmal nichts Überraschendes war. Im nahe gelegenen Ashdod lebten viele griechische Kaufleute, und nicht selten trafen Delegationen aus Pergamon, Smyrna und Korinth ein, die Geschäfte mit der Tetrarchin abschlossen. Zum einen jedoch war die Tetrarchin vor einigen Tagen nach Rom abgereist, zum anderen war es ungewöhnlich, dass ein so junger Grieche sich hier am Hof

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