Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
Vom Netzwerk:
diese einseitige Bildung bisher unbekannt geblieben.
    »Die thora und die Schriften«, erklärte sie sichtlich verwirrt über sein Erstaunen, »sind ein umfangreiches Lernwerk. Sie umfassen achtundvierzig Bücher, darunter sechshundertdreizehn göttliche Gebote, die Psalmen, das Hohelied, das Klagelied, die Schriften der Propheten …«
    »Ja, ich glaube schon, dass ihr viel lernt, aber eben nur eine einzige Sache, eine Glaubenslehre. Und das ist nicht gut.«
    Sie betraten die Terrasse, die im Schatten eines Dutzends Palmen lag. Ein Sklave war damit beschäftigt, heruntergefallene Früchte oder verwehtes Blattwerk zu beseitigen, ansonsten ruhte dieses am Rande des Palastes gelegene Fleckchen verlassen in der Wärme des Nachmittags. Oleanderbüsche in riesigen tönernen Töpfen verströmten ihren intensiven Duft, und unten im Tal, unter einem Schleier flirrender Hitze, lag Ashdod, dessen weiße Häuser wie ein Perlenhaufen in der Sonne leuchteten.
    Timon ging sogleich auf eine steinerne Wanne zu und schöpfte mit einer Kelle Wasser. Er trank es nicht selbst, sondern hielt die Kelle dem Mädchen hin, das, wie er sich jetzt wieder erinnerte, von dem Rabban vorhin Salome genannt worden war. Sie dankte ihm mit einem kurzen Blick und trank. Während er die zweite Kelle begierig schlürfte, fragte Salome:
    »Was lernen Griechen in der Schule?«
    »Ganz unterschiedliche Dinge, der Schwerpunkt ist von Ort zu Ort verschieden. Generell kann man die Grammatik des Dionysios nennen, die Mathematik des Herakleides, die Philosophie Platons, die Schriften des Aristoteles über die Natur … noch einiges mehr.«
    »Was mehr?« Salomes Augen flackerten ungeduldig.
    »Hm, du willst es wohl genau wissen, wie?«
    »Bei uns gelten solche Dinge als profane Lehren, die dem Wissen über Gott weit untergeordnet sind und nur insofern als nützlich anerkannt werden, wie sie zum besseren Verständnis der Taten des Herrn herhalten können.«
    Dieser Satz hörte sich in Timons Ohren einstudiert an. Er konnte sich gut vorstellen, wie der alte Zacharias den Kindern gleich am ersten Schultag zu verstehen gab, dass Fragen nach der Tierwelt oder nach geometrischen Figuren zu unterbleiben hatten. »Selbst Geschichte?«, fragte er.
    Salome nickte. »Selbst die, ausgenommen natürlich solche Ereignisse wie der Auszug der Juden aus Ägypten unter Ramses oder unseren Krieg gegen die Philister oder das Joch unter Babylons König Nebukadnesar. Aber sonst …«
    »Du weißt nichts über die römische Republik?«
    Salome schüttelte den Kopf.
    »Über Athen? Sparta?«
    Sie schüttelte erneut den Kopf.
    »Karthago ist für dich ein Fremdwort?«
    Sie nickte. »Ist das ein Fisch?«
    »Puh«, stieß Timon gedehnt aus. »Das klingt ziemlich …« Er fand nicht sofort das passende Wort. Schließlich fiel ihm nur ein: »Bedauerlich.«
    »Und wenn du …« Sie zögerte. »Wenn du mich unterrichten würdest?«
    Diese zaghaft vorgebrachte Frage war in seinen Ohren eher ein Angebot. Nichts war ihm lieber als das. Das Mädchen war offenbar wissbegierig, und er konnte ihr problemlos geben, wonach sie verlangte. Für ihn bedeutete das, eine Person zu haben, die ihm so manches über die Tetrarchin berichten und – bildlich gesprochen – einige Türen öffnen konnte. Vielleicht sogar nicht nur bildlich gesprochen.
    »Gerne«, sagte er. »Wenn du mir dafür auch ein wenig erzählst – und zeigst. Ich würde zum Beispiel gerne mehr vom Palast sehen, von seiner großartigen Architektur. Wo, zum Beispiel, wohnt die Tetrarchin?«
    »Im gyneikon , auf der anderen Seite des Palastes.«
    »Na, dann los.«
    »Jetzt?«
    »Warum nicht? Dafür erkläre ich dir alles über die Architektur des Palastes. Er ist korinthisch, weißt du? Das sieht man an den Säulen.«
    Er konnte deutlich erkennen, dass er ihren Wissensdurst geweckt hatte, und während er mit ihr den Spaziergang auf die andere Palastseite machte, sprudelte er alles hervor, was er über den korinthischen Baustil wusste.
     
    Das gyneikon war ein Geflecht von verschachtelten, ineinander übergehenden Räumen, Fluchten und kleinen Höfen, das es schaffte, die wirkliche Größe dieses Palastteils zu verschleiern. Nur wenige Möbel zierten die Räume. Stoffe oder Mosaike, die als Blickfang dienen konnten, gab es überhaupt nicht. Stattdessen waren alle Böden und Wände mit milchigem Marmor verkleidet. Von der Mittagshitze war in diesen kühlen, steinernen Gemächern nichts mehr zu spüren.
    Salome war dankbar dafür, denn

Weitere Kostenlose Bücher