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Die Schlucht

Titel: Die Schlucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Forbes
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bewegte. Das war Lady Bullerton mit ihren Flügeln. Die Arme hatte immer wieder mal verrückte Ideen, und damals glaubte sie, dass sie mit diesen selbst gebastelten Dingern fliegen könnte.«
    Paula blickte verstohlen auf ihre Uhr. Die alte Frau war offenbar ziemlich verwirrt. Doch zu ihrem Erstaunen brach Tweed die Unterhaltung nicht ab.
    »Was war diese Lady Bullerton denn für eine Art Frau?«
    »Sehr elegant. Sehr klug. Sie konnte hervorragend kopfrechnen und war sehr geschickt bei Handarbeiten aller Art. Die Flügel hat sie auch selbst gemacht. Aber sie ist nicht freiwillig vom Berg gesprungen. Ich habe genau gesehen, dass sie in die Schlucht hineingestoßen wurde. Als sie oben am Rand stand, kam etwas hinter einem Felsen hervor und hat ihr einen kräftigen Schubs versetzt.«
    »Und was war dieses ›Etwas‹?«, fragte Tweed. »Wie sah es aus?«
    »Es war lang und grün. Ein Ast vielleicht. Oder eine grün gestrichene Stange, so genau konnte ich es nicht sehen. Aber ich weiß genau, dass es Lady Bullerton mitten in den Rücken getroffen und in die Schlucht gestoßen hat. Die Ärmste ist dann fünfzig Meter tief in den Fluss gestürzt, und ich bin ins Nag's Head gerannt und habe Hilfe geholt. Bert Bowling, der Wirt, ist sofort zum Fluss gerannt und hat sie rausgezogen, und kurz darauf war auch Dr. Margoyle da und hat an ihr Wiederbelebungsversuche gemacht. Aber es hat alles nichts genützt, die Arme war schon tot. Ertrunken.«
    »Sie sagen, dass Sie gesehen haben, dass jemand sie in die Schlucht hinabgestoßen hat«, hakte Tweed nach. »Haben Sie diesen Jemand denn auch erkannt?«
    »Nein, leider nicht«, erwiderte sie zögernd. »Lady Bullerton stand auf einer Art Felsvorsprung, und der Täter war hinter einer Felswand verborgen. Ich habe nur seine Arme gesehen, die steckten in einer braunen Jacke. Die Lady hat mich einmal in ihrem Wagen dort mit hinaufgenommen. ›Geh nie an den Rand, Elsie‹«, hat sie zu mir gesagt. »›Das ist viel zu gefährlich.‹«
    »Wehte an dem Tag vielleicht ein heftiger Wind?«, fragte Paula.
    »Nicht einmal der Hauch von einem Lüftchen.«
    »Die Polizei hat das sicher alles schon in Betracht gezogen«, meinte Paula und machte Tweed ein Zeichen, dass sie nun besser gehen sollten. Der stellte der Alten aber noch eine letzte Frage: »Und wie lange ist diese Tragödie nun schon her?«
    »Etwa sechs Jahre. Inspector Reedbeck hat damals erklärt, dass es sich um einen Unfall gehandelt hat.«
    »Ich bin richtig zusammengezuckt, als sie Reedbeck erwähnt hat«, sagte Tweed, der nun am Steuer saß, während sie den Berg hinauf nach Gunners Gorge fuhren.
    »Aber Buchanan hat uns doch erzählt, dass der Katastrophenbulle früher in Hobartshire ein Polizeirevier geleitet hat«, erinnerte ihn Paula.
    »Stimmt. Das hatte ich vergessen.«
    »Also, wenn Sie mich fragen, dann ist die Alte einfach nicht mehr ganz bei Trost«, sagte Paula.
    »Immerhin hat sie uns einige Informationen gegeben, auch wenn vielleicht nicht alle ganz richtig waren. Mehr werden wir erst wissen, wenn wir mit Harry gesprochen haben.«
    Sie bogen um eine Kurve, hinter der sich ihnen ein beeindruckender Ausblick bot. Paula holte tief Luft. Gunners Gorge war eine Kleinstadt, die traumhaft schön auf beiden Seiten eines lebhaften Gebirgsflusses lag, der nicht weit von der Ortschaft entfernt in einem wild schäumenden Wasserfall eine enge Schlucht hinabstürzte, die sich tief ins Granitgestein des Aaron's Rock eingeschnitten hatte.
    »Könnten wir hier kurz anhalten? So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen.«
    Tweed hielt an. Sie stiegen beide aus, vertraten sich ein wenig die Beine und sahen sich die Stadt an, deren aus Granitblöcken am Hang des Berges erbauten Häuser ihr eine düstere Atmosphäre verliehen.
    »Sehen Sie nur die vielen Treppen zwischen den Häusern«, sagte Paula. »Wer hier lebt, muss ganz schön fit sein.«
    Tweed holte sein Fernglas heraus und besah sich die niedrigen, mit Stroh gedeckten Häuser, die weit oben am Hang standen. »Die Häuser haben Garagen«, sagte Tweed. »Es muss also eine Straße geben, die man von hier aus nicht sehen kann. Aber jetzt wird es langsam Zeit zum Mittagessen. Ich habe einen Bärenhunger.«
    »Dann lassen Sie uns doch ins Nag's Head gehen, das ist gleich dort drüben«, sagte Paula.
    Sie gingen hinüber zu dem Pub, auf dessen Parkplatz sie Harry Butlers Fiat entdeckten. Im Inneren des Lokals begrüßte sie ein kräftig gebauter, jovialer Mann, der sich eine grüne

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