Die Schlucht
»Das ist also Vaters Geburtstagsgeschenk für seinen Liebling, Sable.«
Margot sprang auf und stürzte mit dem Messer in der Hand auf Sable zu. Sable blieb die Ruhe selbst. Erst als Margot direkt vor ihr stand, streckte sie einen Arm aus, packte Margot am Handgelenk und verdrehte ihr den Arm. Margot schrie vor Schmerzen laut auf und ließ das Messer fallen. Im gleichen Augenblick kam auch Lord Bullerton zurück.
»Verdammt noch mal, ich konnte ja mein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Margot, bist du verrückt geworden?«
»Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit«, antwortete Margot schmollend, während sie sich in den Sessel setzte und sich das verdrehte Handgelenk rieb.
Tweed lehnte sich ein Stück nach vorn und besah sich das Messer genauer. Die eine Seite war glatt, während die andere eine geriffelte Klinge hatte. Mit einer solchen Klinge waren die beiden Frauen in London nicht verunstaltet worden.
Ein junger Mann Anfang zwanzig betrat den Raum. Er trug einen eleganten grauen Anzug, sah umwerfend gut aus und hatte mandelförmige Augen, die ihm eine gewisse Autorität verliehen.
»Das ist Lance, mein Sohn … und das eben war wieder Margot«, sagte Lord Bullerton mit wütender Stimme.
» Wieder. Immer wieder Margot«, schrie Margot wütend. Bullerton erhob seine große Hand und versetzte ihr eine derart heftige Ohrfeige, dass Paula dachte, ihr würde gleich der Kopf abfallen. Dann versetzte er ihr noch eine auf die andere Wange. Sie brach in Tränen aus und rannte aus dem Zimmer.
»Das entsorge ich wohl besser«, sagte Lance.
Er nahm das Messer am Griff und ging durch das Zimmer auf eine Tür am anderen Ende des Raumes hinter dem Vitrinenschrank zu, öffnete sie, und Paula sah, dass sie in ein mit Marmor gefliestes kleines Bad führte. Als er wieder herauskam, hatte er ein großes Handtuch um das Messer gewickelt.
»Im Moor gibt es genug Orte, an denen man es verschwinden lassen kann«, erklärte er. »Dort ist es sicher. Ich wusste gar nicht, dass Margot sich für Messer interessiert.«
»Ich werde ihr später noch gehörig die Leviten lesen«, knurrte Bullerton.
»Lass das besser«, schlug Lance vor. »Mrs Shipton soll ihr lieber einen Tee bringen. Außerdem Muffins, die mag sie doch so gern, mit viel Butter und Rosinenkuchen. Ihr trage ihr alles dann selbst hoch.«
»Wie du meinst. Wenn du eines Tages meinen Titel übernimmst, hast du ihn dir auch redlich verdient.«
»Das will er doch überhaupt nicht«, hörte man plötzlich wieder Sables kultivierten Tonfall. »Das hat er dir doch schon oft genug gesagt.«
»Ja, da hast du Recht«, pflichtete Bullerton ihr bei, nachdem Lance aus dem Zimmer gegangen war. »Ich glaube, dass du eine bessere Nachfolgerin wärst. Du bist kompetent, beherrscht und schreckst nicht vor Verantwortung zurück - anders als Lance. Und du bist bei den richtigen Leuten beliebt.«
»Damit eines klar ist«, sagte Sable entschlossen. »Ich verlange überhaupt nichts und erwarte auch nichts. Außerdem änderst du deine Meinung ziemlich oft.«
»Das stimmt«, sagte er. »Aber ich habe über die ganze Sache noch einmal nachgedacht.«
»Ich glaube, wir sollten jetzt besser gehen«, schlug Tweed vor. »Es war sehr interessant bei Ihnen. Ihr Haus ist wirklich das reinste Schmuckstück!«
»Ich begleite Sie noch auf die Terrasse. Sable, komm bitte mit.«
Als sie gemeinsam mit Tweed nach draußen gingen, kam Mrs Shipton mit einem doppelten Scotch auf einem Tablett hinter ihnen her. Bullerton, der auf der Terrasse stand, trank die Hälfte, leckte sich dann die Lippen und schluckte den Rest hinunter. Anschließend stellte er das Glas wieder auf das Tablett, das Mrs Shipton ins Haus zurücktrug.
»Sein dritter«, flüsterte Sable Paula zu. »Haben Sie das bemerkt? Dürfte ich Sie vielleicht einmal im Nag's Head besuchen?«
»Ich würde mich sehr freuen. Am besten rufen Sie mich vorher an. Hier, ich gebe Ihnen meine Nummer …«
Sie hielt Sable eine Visitenkarte hin und ging davon aus, dass sie die Karte an sich nehmen würde. Stattdessen warf Sable nur einen kurzen Blick darauf.
»In Ordnung. Ich habe sie mir gemerkt«, sagte sie und verschwand wieder in der Eingangshalle.
Paula ging hinter Bullerton und Tweed auf die Terrassenmauer zu. Sie beobachtete den Gang des großen Mannes. Er war absolut gleichmäßig. Dann stellte sie sich zu ihnen, als Tweed Bullerton noch eine Frage stellte.
»Und warum heißt der Ort eigentlich Gunners Gorge?«
»Ach, das hat
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