Die Schlüssel zum Königreich 01 - Schwarzer Montag
Klasse.«
»Jetzt nicht mehr«, entgegnete Mittag. Er schrieb schnell etwas in das Notizbuch, das in seiner Hand erschienen war, riss dann das Blatt heraus und ließ es fallen.
»Oh bitte, Euer Lordschaft«, sagte der Mann unglücklich, »ich bin seit hundert Jahren in Klasse Vier …«
Das Blatt traf den kleinen Mann an der Schulter und explodierte in einem Regen blauer Funken, die seinen Kopf wie ein Heiligenschein umgaben. Die Funken fraßen den zerknitterten Hut des Mannes auf und ließen eine Glatze zurück, arbeiteten sich dann nach unten und zerstörten seinen Rock, sein Hemd, seine Hose und seine Stiefel. Arthur kniff ein Auge zu, weil er nicht unbedingt sehen wollte, was als Nächstes geschah, besonders, falls die Haut des Mannes sich auflösen sollte, oder etwas in der Art. Aber das geschah nicht; stattdessen bildeten die Funken ein einfaches, togaähnliches Gewand von gebrochenem Weiß, das die Stelle seiner ursprünglichen Kleider einnahm.
»Das hätten Sie jetzt auch nicht tun müssen«, sagte der Fahrstuhlführer mit beachtlicher Würde. »Diese Kleider waren schwer verdient.«
Mittag hielt ihm das Sprachrohr über den Kopf.
»Schätze dich glücklich«, meinte er. »Komm mir nicht wieder in die Quere – und jetzt zurück an die Arbeit!«
Der Fahrstuhlführer seufzte, rieb in einer flüchtigen Geste des Respekts einen Fingerknöchel an der Stirn und hob die Hand. Sie glitt mühelos in das Sprachrohr; dann wurde auch der ganze Rest von ihm hineingesogen, als ob das Rohr ein Staubsauger und der Mann aus Gummi wäre.
Als er verschwunden war, sprach Mittag wieder in das Rohr.
»Wie schon besprochen. Express und sanft. Unteres Parterre zwanzigzwölf. Zum Oberen Kohlenkeller-Eingang.«
Arthur unterdrückte ein Schaudern. Das hörte sich wie sehr, sehr weit weg an. Mit diesem Gedanken überspülte ihn eine Welle der Trostlosigkeit; das war alles zu schwierig, zu mühsam. Er könnte genauso gut aufgeben.
Wie soll ich denn alle vor der Seuche retten?, klagte ein deprimierter Arthur. Ich kann mich ja nicht einmal selbst vor dem Eingesperrtwerden bewahren!
Hör auf damit!, befahl er sich selbst. Susi und das Vermächtnis sind frei. Ich habe immer noch den Schlüssel. Es wird sich schon die Gelegenheit ergeben, etwas zu unternehmen! Es muss einfach eine Lösung geben …
K APITEL V IERZEHN
D
er Obere Kohlenkeller-Eingang war eine wacklige hölzerne Plattform am Rande einer verdorrten Ebene. Ein gewaltiges Panorama offenen Raumes, schwach erleuchtet durch die Strahlen von nicht mehr als drei oder vier Aufzügen. Wie im Unteren Atrium gab es eine Dec ke über der Plattform, aber im Gegensatz zu jener war diese hier flach anstatt gewölbt, und sie befand sich viel weiter oben.
Arthur wurde von seiner Portiersleibgarde nach draußen geführt. Als sich seine Augen an das düstere Licht gewöhnt hatten, bemerkte er, dass die Ebene jenseits der Plattform nicht einfach nur eine weite Fläche ohne jedes Merkmal war, wie er anfangs gedacht hatte. Da war etwas in ihrer Mitte.
Ein kreisrunder Fleck völliger Dunkelheit.
Ein riesiges Loch, mindestens einen halben Kilometer im Durchmesser und von einer Tiefe, die man weder ausloten noch schätzen konnte.
»Jawohl«, sagte Mittag, der Arthur beobachtet hatte.
»Diese Grube ist der Tiefe Kohlenkeller. Feldwebel! Führe den Gefangenen an den Rand!«
Es gab einen Fußweg von der Aufzugplattform bis zu der Grube. Er war mit weißen Steinen gepflastert, die den schwarzen Staub, der sonst überall lag, abwiesen; Staub, der aufwirbelte, als sie vorübergingen. Kohlenstaub, vermutete Arthur. Er hoffte, dass er ihn nicht einatmete und zumindest nicht mehr in der Lunge haben würde, wenn … falls … er jemals wieder nach Hause käme. Ausgeschlossen, dass seine gequälte Lunge neben all dem anderen auch noch Kohlenstaub überleben könnte!
Während die Portiers marschierten und ihre Beine gelegentlich wegen Ölmangels quietschten, versuchte Arthur ruhig zu bleiben. Susi hatte das Vermächtnis gerettet, und sicherlich würde es nach ihm suchen. Obwohl Abenddämmerung gesagt hatte, dass dies ein Ort sei, an den sich das Vermächtnis nicht wagen würde, weil es den Alten fürchte.
Das hört sich nicht gut an, dachte der mutlose Arthur. In einer Gefängnisgrube festzusitzen mit einem Wesen, das der Alte genannt wird.
»Du wirst nicht allein dort unten sein«, sagte Mittag und sah Arthur wissend an, als ob er gerade seine Gedanken gelesen hätte. »Es sind
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