Die Schlüssel zum Königreich 03 - Kalter Mittwoch.epub
auf die neuen Schiffe versetzt.«
»So wie Sie«, riet Arthur.
»Jawohl, Sir, so wie ich«, bestätigte Sonnenstich schwermütig. »Vierter Offizier auf der Tosenden Wasserhose, das war ich, und ein besseres Schiff und eine feinere Crew hat man noch nicht gesehen!«
»Aber warum sollte Doktor Scamandros sich freiwillig als Navigator zur Verfügung stellen, wenn er ein im Oberen Haus ausgebildeter hochklassiger Zauberer ist?«
Sonnenstich zuckte die Schultern.
»Wahrscheinlich hat er etwas verloren. Das ist meistens der Grund, warum Leute aus anderen Teilen des Hauses in die Grenzsee kommen.«
»Ich verstehe nicht?«
»Alles, was jemals irgendwo verloren wurde, taucht früher oder später in der Grenzsee wieder auf«, erläuterte Sonnenstich. »Das Wiederfinden kann sich allerdings mehr als nur ein kleines bisschen schwierig erweisen. Und man muss es durch ein Missgeschick verloren haben – es darf nicht weggeworfen oder gestohlen worden sein.«
Sie waren fast wieder am Ufer. Eine Bürgerin stand in den auslaufenden Wellen und sah aufs Wasser hinaus, eine Armbrust an ihrer Seite. An einer Stelle des Himmels funkelten ein paar sehr rote, sehr helle Sterne, aber größtenteils war es bedeckt, und ein Mond war nirgends zu sehen. Möglicherweise wurde diese Welt von keinem Mond umkreist.
»Halt!«
»Sonnenstich und der Passagier«, antwortete der Zweite Offizier. »Alles ruhig?«
»Nichts außer den Wellen«, sagte die Bürgerin. Arthur erkannte ihre Stimme wieder; es war Eidechse mit den Schuppen über dem ganzen Gesicht.
»Pass gut auf!«, mahnte Sonnenstich. »Wenn sie kommen, muss es nicht unbedingt von offener See her sein.«
»Aye, aye!«
Sonnenstich wandte sich um und begann, den gut ausgetretenen Sandpfad zwischen zwei der größeren Kistenstapel hinaufzugehen.
»Fertig mit meiner Runde. Wo willst du denn in diesen Spiegel da sehen?«
»Irgendwo, wo es ruhig und nicht völlig dunkel ist«, antwortete Arthur. Er zeigte auf einen Flecken Sand, wo keine Bürger ruhten und der nicht allzu weit von den Laternen im Zelt entfernt war. »Dort drüben müsste gehen, schätze ich.«
Sonnenstich folgte Arthur zu dem bezeichneten Platz und bezog hinter ihm Stellung, während der Junge sich mit gekreuzten Beinen im Sand niederließ. Arthur hielt die Muschelschale gegen das Licht, sah hinein und schüttelte sie ein paarmal, um sicherzugehen, dass nichts darin war. Dann führte er sie behutsam an sein Ohr, hob den Spiegel und hielt ihn schräg, sodass sich darin etwas Licht von den Laternen fing.
Alles, was er anfangs hören konnte, war ein sanftes Rauschen, und was er im Spiegel sah, war seine eigene Reflexion. Er versuchte, sich Blatt vorzustellen, aber aus irgendeinem Grund konnte er sich nicht mehr genau an ihr Gesicht erinnern. Ihre Stimme war ihm jedoch im Gedächtnis, also konzentrierte er sich auf die und dachte daran, was sie gesagt hatte, als sie in sein Zimmer im Krankenhaus gekommen war.
Das Rauschen in der Muschel verstummte abrupt, stattdessen hörte er Eisen klirren und Holz ächzen. Der Spiegel bewölkte sich, als ob Arthur darauf geatmet hätte, und hellte sich dann wieder auf – nicht um sein Spiegelbild zu zeigen, sondern eine fremde, düstere Szenerie.
Arthur starrte in den Spiegel. Er konnte Blatt sehen; sie befand sich in einem niedrigen, schwach erleuchteten Raum.
Sie war eine Gefangene!
K APITEL Z WÖLF
B latt saß zusammengekauert in einem engen Raum, die Füße zwei oder drei Zentimeter tief im Wasser. Eine schwere Kette verband ihre Handfesseln mit den Fußfesseln und lief dann zu einem dunklen Eisenring, der in der Holzwand eingelassen war. An der Art und Weise, wie das Wasser sanft von Seite zu Seite schwappte, war klar zu erkennen, dass sie sich an Bord eines Schiffes befand. Die einzige Lichtquelle war eine hin- und herpendelnde, verrußte Laterne, die keinen halben Meter über Blatts Kopf an einem Haken von der Plankendecke hing.
Am Rand des Bildes bewegte sich etwas in der Dunkelheit. Arthur schaute aus einem spitzen Winkel, um zu erkennen, was es war, aber das klappte nicht. Der Spiegel war wie ein Fernsehgerät oder eine Bühne. Alles, was sich hinter dem Rand abspielte, blieb verborgen.
Da war die Bewegung wieder! Blatt hob den Kopf und blickte um sich. Als ihr nichts auffiel, ließ sie ihn wieder sinken. Sie wirkte völlig mutlos, bis Arthur bemerkte, dass sie irgendetwas mit der Fessel an ihrem linken Knöchel anstellte. Sie versuchte sie zu öffnen, vermutete er
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