Die Schmetterlingsinsel
schritt Claudia vor und richtete an Graces hellblau gestreiftem Kleid noch einmal die Schleifen.
»Ich glaube, ihr werdet wirklich Eindruck auf die Leute machen. Was kein Wunder sein dürfte bei Engländern, die schon lange nicht mehr die heimische Küste gesehen haben.«
»Liebes, urteile doch nicht schon im Voraus über die Leute hier. Die Männer, die ich im Club kennengelernt habe, waren alle sehr freundlich und kultiviert. Ich glaube kaum, dass deren Familien verwildert sind.«
Henry neigte sich zu Claudia und gab ihr einen Kuss. Da ertönte auch schon das Rattern von Pferdewagen vor dem Haus.
»Ich glaube, sie kommen. Zeigen wir uns von unserer besten Seite!« Henry Tremayne strich ein nicht vorhandenes Stäubchen vom Revers seines Rockes und stellte sich in Positur, während Wilkes sich zur Tür begab, um zu öffnen.
Innerhalb der nächsten Minuten strömte ein großer Teil der Gesellschaft von Nuwara Eliya durch das Tor Vannattuppuc c i s. Kutschen machten auf dem Rondell halt, elegant gekleidete Menschen strömten die Freitreppe hinauf.
»Ah, da sind ja die Stocktons!«
Der Ausruf ihres Vaters durchfuhr Grace wie ein Peitschenhieb, und sie verlor die Kontrolle über ihre Miene.
»Sieh nicht so finster drein«, mahnte sie ihre Mutter. »Du wirst den Burschen noch verschrecken.«
Das wollte sie auch! Auch wenn George Stockton eher Ähnlichkeit mit seiner Mutter hatte, die blass und rothaarig war, fand sie an ihm nichts, was sie wirklich kennenlernen wollte. Als ihren Ehemann konnte sie ihn sich schon gar nicht vorstellen.
Stockton ging seiner Familie voraus wie ein aufgeputzter Hahn in einem Gehrock aus blaugrünem Brokat. Sein Blick streifte zunächst ihre Eltern, dann traf er sie. Zufriedenheit breitete sich auf seinen Zügen aus, als Henry ihn in Empfang nahm.
»Ich freue mich sehr, Sie hier begrüßen zu dürfen, Mr Stockton!«
»Die Freude ist ganz meinerseits«, entgegnete Stockton, dann stellte er seine Familie vor. Der rothaarige George, auf dessen Gesicht ein zarter rötlicher Bartflaum heranwuchs, hatte noch eine Schwester, die die dunklen Haare des Vaters geerbt hatte, aber dennoch recht schwächlich erschien mit ihrer durchscheinenden Haut und den zarten Gliedmaßen.
Grace lächelte ihnen allen freundlich zu und bemerkte gleichzeitig, dass der Bursche sie eindringlich musterte, als hätte sein Vater ihm bereits einiges von ihr berichtet.
Ihre Vermutung stimmte also! Stockton wollte sie mit ihrem Sohn verkuppeln. Und bei dem Ansehen, das er bei ihrem Vater genoss, würde der sich über dieses Ansinnen auch noch freuen!
»Ihre Frauen sehen ganz reizend aus, Mr Tremayne«, bemerkte Stockton, nachdem er Claudia einen formvollendeten Handkuss gegeben hatte.
»Dieses Kompliment kann ich zurückgeben«, entgegnete Henry höflich. »Und zudem haben Sie einen sehr stattlichen Stammhalter. Ich gratuliere, dieser junge Mann macht Ihnen sicher viel Freude.«
»Das tut er.« Stockton legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter. »Und er brennt darauf, Ihre Tochter kennenzulernen. Schließlich werden beide eines Tages die Plantagen führen, nicht wahr?«
Die Bedeutung der Worte entging Grace nicht. Als Frau würde sie die Plantage nicht allein führen können, sondern nur an der Seite eines Mannes. Oder gar nicht, denn der Mann würde die Geschäfte übernehmen.
Noch vor einigen Wochen hätte sie daran nichts gefunden. Sie hätte sich, wie es von ihr erwartet wurde, gefügt und sich ganz in die Pflichten einer Ehefrau hineinbegeben.
Aber nun regte sich leichter Widerstand in ihr, eine Tatsache, die sie selbst sowohl erstaunte als auch erschreckte. An der Seite eines anderen Mannes als George Stockton wäre sie bereit, die gesellschaftlichen Konventionen zu achten, aber nicht mit diesem Burschen, dem schon von weitem anzusehen war, dass er schwächer sein würde als sie selbst.
Glücklicherweise kamen noch andere Gäste, und so mussten sich Henry und Claudia vorerst von den Stocktons verabschieden. Die Tatsache, den Blicken von Mr Stockton und George entkommen zu sein, ließ Grace die Begrüßungen und Komplimente der anderen Leute wesentlich freudiger ertragen. Einigen merkte sie sogar an, dass sie es ehrlich meinten, und manche waren ihr auch sympathisch, denn sie maßen sie nicht wie eine Kuh auf dem Viehmarkt.
Als alle Gäste anwesend waren, hielt ihr Vater eine kleine Rede darüber, wie sehr er sich freue, die feine Gesellschaft Nuwara Eliyas zu begrüßen und Gelegenheit erhalte, in
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