Die Schmetterlingsinsel
das in den Sinn kommen?
»Ich habe Ihr Zimmer bereits vorbereitet«, verkündete Mr Green, der den Schirm beinahe geräuschlos in den Metallständer neben der Tür geschoben hatte. »Wenn Sie mir bitte folgen würden.«
Diana wollte schon einwenden, dass sie die Tasche auch allein hochtragen könnte, doch Mr Green war da bereits an der Treppe. Vielleicht sollte ich mich dem Gefühl, umsorgt zu werden, einfach hingeben, dachte sie, als sie die marmornen Stufen erklomm, die von feinen Rissen durchzogen waren, aber dennoch nichts von ihrer Festigkeit verloren hatten. Das wäre mal etwas ganz anderes nach all den Monaten Vernachlässigung durch Philipp.
Die vertrauten Stuckornamente, die Gemälde von längst vergangenen Menschen und Szenen umrahmten, das Knarren der Bodendielen im zweiten Stock und der Geruch nach alter Tapete zerrten sie sogleich in ihre Jugend zurück, als die Probleme der Erwachsenen sie noch nichts angingen. Liebevoll strich sie über den schweren goldenen Rahmen, der eine Szene aus dem hiesigen Park einfasste. Unter den schweren Trauerweiden, die den kleinen See umstanden, saßen zwei junge Mädchen neben ihrer Mutter auf einer Decke, um ein kleines Picknick abzuhalten.
Angesichts der Entstehungszeit um 1878 musste es sich bei den Kindern um Grace und Victoria handeln, den letzten, die von Geburt an den Namen Tremayne trugen. Die kleinere der beiden, Emmelys Großmutter Victoria, saß vor einer winzigen Staffelei, während die Ältere einen Blumenkranz wand. Ihre Mutter thronte in einem von Spitzen und Seidenblumen geschmückten zartgrünen Kleid wie eine Königin zwischen ihnen.
Diana hatte das Bild, das dank seines Realismus wie ein Fenster in eine ferne Zeit wirkte, immer geliebt. Und auch jetzt wäre sie gern stehen geblieben, um den Mädchen und ihrer Mutter noch ein Weilchen zuzusehen. Doch Mr Green wartete bereits an der Tür.
Diana roch sofort, dass ihr Zimmer renoviert worden war. Der Geruch der Moderne mischte sich wie ein ungebetener Gast in den Muff vergangener Tage. Glücklicherweise waren die Reparaturen äußerst diskret ausgefallen. Die verblichene Blütentapete, die ansonsten noch in recht gutem Zustand war, hatte man mit einem durchsichtigen Firnis überstrichen, der sie wohl noch für weitere Jahre erhalten sollte. Einer der Bettpfosten war erneuert worden, was man aber nicht an einem Unterschied in der rotbraunen Farbe sah, sondern an der Struktur des Holzes – dem neuen Bettpfosten fehlten ganz einfach die Bohrlöcher der Holzwürmer. Eine willkommene Neuerung war der weiche Teppich, dessen dichter Flor dazu einlud, barfuß hinüberzulaufen. Farblich passte er perfekt zu den Möbeln, doch er war viel zu sauber, um in eine andere Zeit zu gehören.
Beinahe andächtig ging Diana zum Kamin. Das darin brennende Feuer zog die Feuchtigkeit aus der Luft und milderte die durch die alten Fenster hereindringende Kühle des Regentages ein wenig ab. Als Kind hatte sie gern hier gesessen, das Tanzen der Flammen beobachtet und versucht, die Funken zu zählen, die beim Zusammenbrechen eines Scheites aufstoben.
»Wenn Sie möchten, bringe ich Ihnen den Tee nach oben«, schlich sich die Stimme des Butlers sanft in den kurzen Erinnerungsfetzen.
Diana schüttelte den Kopf. Nach all den Ereignissen des Tages stand ihr nicht der Sinn danach, einsam in diesem Zimmer zu sitzen, in dem die Geister der Tremaynes wispernde Gespräche führten, sobald der Butler gegangen war.
»Ich packe nur schnell meine Sachen aus und komme dann runter in die Küche. Ich nehme an, dass meine Tante keine Köchin mehr beschäftigt hat.«
»Nein, schon seit einigen Jahren nicht mehr. Ich habe diesen Part übernommen.« Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Butlers, zu kurz, um es fassen zu können. Ist es ihm peinlich, das zuzugeben? Wunderte er sich darüber, dass eine anspruchsvolle Herrin wie Emmely Woodhouse mit seinen Kochkünsten zufrieden war?
»Wenn Sie möchten, helfe ich Ihnen gern«, bot Diana an. »Immerhin haben Sie heute einen Gast.«
»Und weil dem so ist, benötige ich keine Hilfe«, gab der Butler höflich zurück. »Ich habe Mrs Woodhouse versprochen, es Ihnen so bequem wie möglich zu machen, und daran werde ich mich halten.«
Nach dem Auspacken, das nur wenige Minuten in Anspruch genommen hatte, beschloss Diana, ihre Erinnerung an das Haus durch einen kleinen Rundgang zu schärfen. Zuvor warf sie einen Blick auf ihren Blackberry, auf den Mails von Eva und einem Mandanten, den sie
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