Die Schmetterlingsinsel
Prügel verpassen lassen.«
»Prügel für einen Kalarippayat-Kämpfer?« Diana zog skeptisch die Augenbrauen hoch und wandte sich um. »Wir sind noch immer nicht am Ende, fürchte ich. Einen Teil des Geheimnisses haben wir wohl gelüftet, aber es geht noch weiter, schätze ich. Immerhin wissen wir noch immer nicht, was danach geschah und wie diese intimen Aufzeichnungen in das Rechnungsbuch gekommen sind.«
»Nun, wir haben noch etwas Zeit. Solange mein Verleger nicht drängelt …«
»Du bist ein wahrer Glücksgriff, weißt du das?« Diana schmiegte sich an seine Brust. »Ich weiß gar nicht, wie ich Michael danken soll.«
»Dir wird schon was einfallen.« Jonathan schlang seine Arme um sie und küsste ihren Scheitel.
»In dem Brief fragte Victoria, ob Grace ihr inzwischen verziehen hätte …«, sagte Diana, nachdem sie eine Weile aus dem Fenster gestarrt und ganz in seine Umarmung versunken war. Ein Verdacht huschte durch ihren Verstand, doch es war noch zu früh, um ihn in Worte zu kleiden. »Ich habe es dir bisher noch nicht erzählt, aber ich habe da einen Brief gefunden. Dort drüben neben dem Fensterbrett.«
Sie löste sich aus seiner Umarmung und verließ das Bett, um ihre Tasche hervorzuziehen.
»Du hast was?« Jonathan hob überrascht die Augenbrauen.
»Ich glaube, der Brief könnte von Victoria stammen.« Diana reichte ihm den Umschlag, der sich gewichtig anfühlte.
»Und du hast ihn noch nicht gelesen?«
Diana schüttelte den Kopf. »Nein, denn irgendwie fühle ich, dass es das letzte Teil des Puzzles sein könnte. Ich wollte ihn erst öffnen, wenn wir an einem Punkt angelangt sind, an dem es nicht mehr weitergeht.«
»Nun, das Heft geht nicht mehr weiter. Vielleicht solltest du ihn jetzt öffnen.« Jonathan reichte ihr den Brief zurück, worauf Diana mit dem Finger andächtig über den Schriftzug »Zum Abschied« strich.
»Vielleicht sollte ich ihn wirklich erst öffnen, wenn wir uns von hier verabschieden.«
Jonathan zog sie in seine Arme und küsste sie. »Halte es, wie du willst. Ich bin aber fast sicher, dass dieser Brief alle Teile zusammenfügen wird.«
Diana lächelte versonnen, und während ein erwartungsvolles Kribbeln durch ihre Brust zog, legte sie den Brief auf den Nachttisch und kuschelte sich an Jonathans Brust.
Obwohl sie in der Nacht kein Auge zugetan hatten, saßen sie schon in aller Frühe wieder im Archiv. Den Tee hatten sie mit runtergenommen, denn sie wussten, dass jetzt akribische Detektivarbeit gefragt war, wenn sie herausbekommen wollten, was mit Vikrama und letztlich auch mit Grace passiert war.
»Das hier ist seltsam«, sagte Jonathan, während er sich erhob und Diana das Buch brachte, das er gerade durchgesehen hatte. »Es ist kein normales Geschäftsbuch, sondern eine Auflistung der Gehälter. Ein R. Vikrama wird hier tatsächlich geführt, und nach damaligen Maßstäben verdiente er recht gut als Verwalter. Doch ab Dezember 1887 ist er von der Lohnliste verschwunden.«
»Wahrscheinlich, weil Henry Tremayne herausgefunden hatte, wer seine Tochter geschwängert hatte.«
»Meinst du, sie hätte es ihnen verraten? Sie hätte doch genauso gut diesen Stockton beschuldigen können.«
Das erschien Diana zu unglaubwürdig. Nur zu gern hätte sie gewusst, wie es weitergegangen war. Warum hatte Grace nicht mehr geschrieben? Was anschließend passiert war, musste doch wichtig gewesen sein! Es ärgerte Diana, dass gerade das wichtigste Puzzleteil zu fehlen schien.
Da kam ihr plötzlich etwas in den Sinn. »Das Heft muss gefunden worden sein. Vielleicht wurde es gefunden, bevor sie schwanger wurde. Ihre Schilderungen sind mehr als deutlich und ein guter Grund, Vikrama rauszuwerfen.«
»Das klingt plausibel«, gab Jonathan zu. »Aber dennoch kommt mir einiges seltsam an der Sache vor. Warum schreibt sie nichts von einer Schwangerschaft? Wahrscheinlich ist ihr Vater doch erst hinter ihr Geheimnis gekommen, als man ihre Schwangerschaft bemerkte. Und wenn Vikrama deswegen von ihrem Vater rausgeworfen worden war, was hätte ihn davon abhalten sollen, zu ihr zu reisen, wie es in dem Brief, von dem du gesprochen hast, angekündigt wurde? Warum ist er nie angekommen?«
»Weil er vielleicht nie die Möglichkeit dazu erhielt.«
Diana ließ vor Schreck beinahe die Lupe fallen.
Ohne dass sie es mitbekommen hatten, war Manderley durch die Tür getreten und musste ihre gesamte Unterhaltung mitbekommen haben.
»Mr Manderley, woher …«
Der Geschäftsführer, diesmal in
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