Die Schmetterlingsinsel
mich nicht mehr dagegen wehren kann«, hatte sie in ihrer typischen Handschrift zu Papier gebracht, was Diana ein breites Lächeln aufs Gesicht gezaubert hatte.
Ob die Leute das seltsam finden würden?, fragte sie sich jetzt. Doch die Gäste reihten sich alle schweigend hinter ihr ein, einige Männer verneigten sich still im Gang vor Emmelys Sarg.
Zu ihrer großen Erleichterung wurde die Zeremonie genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte – und wie Emmely es sich sicher gewünscht hätte. Der Pastor ließ mit warmen Worten ihr Leben Revue passieren, würdigte ihre Verdienste während des Krieges und ging auch auf ihre Ehe und ihr verlorenes Kind ein. Dianas Familie wurde nur kurz angesprochen – auf ihren eigenen Wunsch –, danach bot der Damenchor der Gemeinde noch zwei Kirchenlieder dar.
Als der Sarg von den Trägern nach draußen geschafft wurde, gelang es Diana überraschenderweise, nicht laut in Tränen auszubrechen. Würdevoll und leise weinend wie eine englische Lady folgte sie unter den Blicken der Anwesenden dem Sarg zur Gruft, wo bereits Kränze und Blumensträuße niedergelegt worden waren.
Nachdem sie sichergestellt hatte, dass Emmely ihren Platz unter ihren Ahnen eingenommen hatte, verließ Diana die Gruft wieder. »Schlaf gut, Tante Emmely«, wisperte sie, als sie die Tür verschloss und sich die Kette mit dem Schlüssel um den Hals hängte. Dann dankte sie den Trägern, Männern aus dem Ort, die kaum jünger waren als Emmely selbst, es sich aber dennoch nicht hatten nehmen lassen, der Herrin von Tremayne House die letzte Ehre zu erweisen.
Die Trauergäste hatten sich inzwischen am Tor eingefunden, einige unterhielten sich leise mit Reverend Thorpe, bei dem Diana sich ebenfalls noch bedanken wollte.
Auf dem Weg zum Wagen blickte sie noch einmal zu dem Engel auf, der mit gleichgültiger Miene den Kranz über Beatrices Grab hielt. In Erinnerung an ihren seltsamen Traum betrachtete sie das Gesicht näher – doch es war kein Frauengesicht, das sie sah. Die Züge waren eindeutig männlich. Männlich und irgendwie – exotisch.
Diana legte den Kopf schräg, während sie zu erfassen versuchte, welche Nationalität der Engel haben könnte. Gab es das überhaupt? Oder hatte der Bildhauer nur eine persönliche Vorliebe wiedergegeben? Vielleicht eine Person, die er kannte und die er in dem Grabmal verewigen wollte?
Eine Hand an ihrem Ellbogen zog sie aus ihren Überlegungen fort. Ohne dass sie es mitbekommen hatte, war Mr Green neben ihr aufgetaucht.
»Alles in Ordnung, Miss Diana?« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
»Ja, ich denke schon. Ich habe mir nur den Engel angesehen. Sein Gesicht …«
Mr Green hob den Kopf und kniff die Augen zusammen. »Es ist ein Mann«, stellte er dann fest. »Ich nehme mal an, einer der Erzengel.«
»Finden Sie nicht auch, dass er irgendwas Exotisches an sich hat?«
»Das ist mir bisher nicht aufgefallen …« Der Butler stockte kurz, dann nickte er. »Sie haben recht, er hat tatsächlich keine rein europäischen Züge. Vielleicht die persönliche Note des Schöpfers.«
»Mag sein.« Ein Gedanke flammte kurz in Dianas Verstand auf, doch sie konnte ihn nicht festhalten. »Dann sollten wir die anderen wohl nicht mehr warten lassen.«
Beinahe alle Trauergäste folgten ihnen nach Tremayne House. Mr Green hatte ein paar Hilfskräfte aufgetan, Frauen aus dem Dorf, die sich bereit erklärt hatten, den Kuchen aufzuschneiden und zu verteilen.
Nachdem Diana ein paar Worte an die Gäste gerichtet und ihnen für ihr Erscheinen gedankt hatte, erfüllte gedämpftes Gemurmel das alte Gebäude und verlieh ihm dadurch ironischerweise den Hauch von Leben, den es in all den Jahren entbehrt hatte.
Diana war froh, unter den vielen unbekannten Gesichtern, deren Namen sie sich gewiss nicht alle merkte, das von Dr. Sayers zu entdecken.
»Schön, dass Sie gekommen sind«, sagte sie, als sie ihm die Hand reichte.
Der Arzt lächelte traurig. »Es war das Mindeste, was ich für meine alte Freundin tun konnte. Es ist ein Jammer, dass sie von der Welt abberufen wurde, aber das ist der Lauf der Dinge. Wahrscheinlich werde ich der Nächste sein.«
Diana wollte nicht dagegenhalten, denn wer war sie denn schon, dass sie die Lebenszeit eines Menschen kannte? Stattdessen kam ihr etwas anderes in den Sinn. »Sie haben sicher gesehen, dass das Grab meiner Großmutter noch in recht gutem Zustand ist.«
»Ja, das habe ich. Und der Anblick hat ehrlich gesagt mein Herz erfreut.
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