Die Schmetterlingsinsel
ihr sein sauberes Taschentuch an, doch Diana schüttelte den Kopf.
»Es geht schon wieder. Haben Sie den Schlüssel?«
»Natürlich.« Der Mann hielt eine kleine braune Papiertüte hoch, die mit einem glänzenden Firmenaufkleber verschlossen war. »Sie sollten ihn allerdings ausprobieren, bevor Sie bezahlen. Bei so alten Schlössern weiß man nie.«
»Ich vertraue Ihren Fähigkeiten. Das hat meine Tante doch sicher auch getan, oder?«
»Sie hat mich durch das ganze Haus geschleppt und jeden Schlüssel selbst ausprobieren lassen. Anschließend hat sie sich beschwert, wenn ihr der Kopf nicht kunstvoll genug erschien. Da ich nicht weiß, wie Ihr Geschmack so ist, habe ich mich an das gehalten, was Mrs Woodhouse gefallen hätte.«
»Dann gefällt es mir ebenfalls. Kommen Sie rein, ich hole das Geld.«
Diana eilte zurück und hätte um ein Haar nach den in ihrer Geldbörse befindlichen Euroscheinen gegriffen. Doch sie bemerkte ihren Irrtum noch rechtzeitig und reichte ihm wenig später die geforderte Summe Pfund im Austausch gegen die Tüte. »Den Aufkleber hat mein Enkel gemacht, er meinte, dass meine Dienstleistungen angemessen präsentiert werden sollten.«
»Das ist sehr nett von ihm.«
»Pah, er will mir nur zeigen, zu welchen Spielereien er am Computer fähig ist!«, platzte Talbott heraus. »Als ich sechzehn war, habe ich mich eher um die Mädchen geschert als um eine Maschine, die auf Knopfdruck bunte Bilder und Aufkleber ausspuckt. Aber die Jugend ist eine andere geworden, die alten Werte werden nach und nach weggeweht.«
Wahrscheinlich erzählte er das seinem Enkel bei jeder Gelegenheit, natürlich mit derselben Geste, mit der er jetzt seine Worte unterstrich.
Ein Lächeln huschte über Dianas Gesicht, als sie sich vorstellte, wie der junge Mann die Augen hochdrehte und gleich danach wieder in die virtuelle Welt verschwand.
»Na sehen Sie, jetzt lächeln Sie ja doch noch. Also liegt die Traurigkeit wohl nicht an mir.«
»Natürlich nicht, Mr Talbott. Und wenn Sie Ihr Geschäft noch ein wenig offenhalten, werde ich mich wieder bei Ihnen melden, sollte ich einen Schlüssel benötigen.«
»Oder sich selbst aussperren. Aber ich glaube, dann würde sich Mr Green persönlich an der Dachrinne entlanghangeln und durch irgendein Dachfenster schlüpfen, nur um Sie einzulassen.«
Damit brachte er Diana endgültig zum Lachen. Ein Lachen, das in ihrer Brust schmerzte, aber immerhin war es mal wieder eines.
Als der Schlüsselmacher gegangen war, öffnete Diana die Tüte, allerdings so, dass der Aufkleber nicht beschädigt wurde. Zum Vorschein kam ein kleiner, altmodisch wirkender Messingschlüssel, dessen Kopf wirklich sehr hübsch mit einem Rankenmuster und einer kleinen Blume verziert war. Wahrscheinlich hatte er die meiste Zeit in Anspruch genommen, denn der Bart war relativ simpel.
Machte sich noch irgendein anderer Schlüsselmacher die Mühe, einen Schlüssel derart aufwendig zu gestalten? Oder tat Talbott das einfach, weil er glaubte, sie sei eine zweite Emmely?
Während sich ihre Trauer ein wenig zurückzog, klopfte ihr auf einmal das Herz bis zum Hals. Der Schlüssel in ihrer Hand schien von Magie beseelt zu pulsieren. Das Geheimnis ihrer Familie. Heute würde sie es finden.
Noch einmal atmete sie tief durch, dann wandte sich Diana um und beschritt den Gang, den sie seit ein paar Tagen nicht wieder betreten hatte. Diesmal begleitete sie nicht das Leuchten der Lampen, sondern Licht, das durch zwei offenstehende Türen fiel. Mr Green war hier zugange gewesen, vermutlich hatte er die furchterregenden Jagdtrophäen abgestaubt.
Vor der Flügeltür hielt sie kurz inne, stieß sie dann tief durchatmend auf. Nichts hatte sich verändert. Der Staub, der in der Zwischenzeit gefallen war, war von Mr Green gewissenhaft beseitigt worden.
Diana umschloss den kleinen Schlüssel so fest, dass sie jede Kontur zu spüren meinte. Emmelys Vermächtnis. Was sich wohl hinter der kleinen Tür verbarg? Das Geheimnis der Familie.
Als sich das Metall erwärmt hatte, trat sie vor das Regal und schob den Schlüssel ins Schloss. Ein Moment der Spannung, kurzes Atemanhalten, dann drehte Diana den Schlüssel herum. Der Bart traf auf einen kleinen Widerstand, schob ihn aber beiseite und ließ das Schloss mit einem leisen Klicken aufschnappen.
Ihre Hand zitterte ein wenig und ihr Magen zwickte wie vor einer Prüfung, als sie die Tür aufzog. Während der Geruch nach alter Mauer kurz in ihre Nase stieg, entdeckte Diana
Weitere Kostenlose Bücher