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Die Schmetterlingsinsel

Die Schmetterlingsinsel

Titel: Die Schmetterlingsinsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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einen länglichen Gegenstand.
    Eine Schatulle. Etwa so lang wie ihr Unterarm und so hoch wie ihre Hand. Aus Rosenholz gefertigt und mit verschlungenen Ranken verziert. Auf den ersten Blick wirkte das Muster irisch, doch Diana wusste nur zu gut, dass diese Schatulle in einem Land in weiter Ferne angefertigt worden war.
    Der Drang, daran riechen zu müssen, war auf einmal so stark, dass sie das Kästchen vor ihre Nase hob. Erstaunt stellte sie fest, dass es nicht nach Schimmel oder stockiger Wand roch. Tatsächlich, nach all den Jahren, ging ein leicht süßlicher Duft von ihm aus, der ihr bekannt vorkam. Hatte jemand Zimtstangen darin aufbewahrt?
    Diana trug das Kästchen zum Tisch, strich andächtig über den Deckel und hob diesen dann an. Auf dem roten Samt, mit dem es ausgeschlagen war, lagen vier Gegenstände.
    Ein Anhänger mit einem großen blauen Stein. Ein vertrocknetes, längliches Blatt, das mit seltsamen Zeichen bedeckt war. Eine Fotografie von einem Berg. Und ein kleines Büchlein. Dieses nahm Diana zuerst hervor. Eine seltsame Spannung zog durch ihren Körper. Genauso musste es sich anfühlen, wenn man die Möglichkeit bekam, durch ein Fenster in die Vergangenheit zu schauen. Wenn man die Chance erhielt, die eigenen Wurzeln zu betrachten.
    Andächtig strich Diana über das Buch, während ihr Verstand alle Eindrücke gierig aufsaugte. Ein Reiseführer aus dem Jahr 1887. Blaugrüner Pappeinband, blauer Aufdruck.
    The Passengers Guide To Colombo.
    Zwischen den Seiten eine gepresste Blüte. Frangipani, eine der schönsten Blüten Indiens. Dieses Exemplar war weiß und hatte ein blutrotes Auge.
    Auf den abgegriffenen, doch von Gilb verschont gebliebenen Seiten gab es ein paar angestrichene Stellen, vermutlich Orte, die der Besitzer hatte besichtigen wollen.
    Andächtig blätterte Diana die Seiten auf, die mit wunderhübschen Vignetten verziert waren und einen umfassenden Überblick über die Sehenswürdigkeiten der Stadt versprachen. Gehörte dieses Buch einst dem Bruder von Henry Tremayne, der in Colombo verunglückt war? Auf einmal kam es ihr so vor, als würde jemand hinter sie treten und ihr leise die Geschichte dieses Gegenstandes ins Ohr flüstern.

Colombo, 1887
    »Schau mal, was ich hier habe!« Victoria streckte ihrer Schwester ein kleines, in grobes grünes Papier gebundenes Büchlein entgegen, auf das in blauen Lettern der Schriftzug The Passengers Guide To Colombo gedruckt war. Dabei leuchteten ihre blauen Augen wie der klare Himmel über dem Hafen, den sie von ihrem Zimmer im Grand Oriental gut überblicken konnten.
    »Ein Reiseführer?«, wunderte sich Grace, die älteste Tochter von Henry Tremayne, während sie das Buch herumdrehte. Eine Ranke aus stilisierten Blumen umgab den eher schlicht gehaltenen Einband, der sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite denselben Aufdruck aufwies.
    »Für eine Rupie!«, verkündete Victoria stolz, während sie den Reiseführer wieder an sich drückte, als wäre er ein seltenes Schmuckstück.
    »Da lässt dich Papa schon mit Wilkes in die Stadt, und du kaufst einen Reiseführer!« Grace schüttelte vorwurfsvoll den Kopf und lehnte sich dann wieder in die breite Laibung des Hotelfensters, von dem aus sie den gesamten Hafen über­blicken konnte.
    »Den werden wir hier noch gebrauchen können!«, verteidigte sich Victoria schmollend. »Immerhin sind wir in einem fremden Land. Wie willst du dich hier ohne Hilfe zurechtfinden?«
    Am liebsten gar nicht, wäre es Grace beinahe herausgerutscht, doch sie schluckte die Worte im letzten Augenblick hinunter. Obwohl sie die Begeisterung ihrer Schwester nicht teilte, wollte sie ihr den Spaß nicht ganz verderben. Schlimm genug, dass man sie hier im Hotel abgestellt hatte wie eine Fuhre Gepäck!
    Während sich ihre kleine Schwester in die Lektüre vertiefte, ließ Grace seufzend ihren Blick über das dahinter­liegende, tiefblaue Meer schweifen, auf dem neben orienta­lischen Dhaus und chinesischen Dschunken moderne Dampfschiffe schaukelten, als seien sie aus Versehen in eine längst vergangene und vergessene Zeit geraten.
    Die Anlegestellen wimmelten zu dieser Stunde vor Menschen. Zwischen Seeleuten aller möglichen Nationen wuselten Einheimische umher, entweder in schlichte weiße Hosen gekleidet oder in prächtige gelbe und rote Gewänder. Viele von ihnen trugen Turbane auf dem Kopf, einige hatten auf die Mitte ihrer Stirn einen roten Strich gemalt.
    Zwei Frauen, die gerade die Straße überquerten, fielen Grace

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