Die Schnapsstadt
es im Kino gelernt. Mein Schwiegervater fragte: Woher hast du gewusst, dass es Schnaps war? Beinah unhörbar leise sagte sie: Ich konnte es riechen … Woher hast du so einen scharfen Geruchssinn?, fragte mein Schwiegervater. Das Mädchen errötete noch tiefer. Ihr Gesicht schien geradezu zu brennen. Mit noch schwächerer Stimme sagte sie: Ich … ich habe … die letzten Tage habe ich einen erhöhten Geruchssinn gehabt. Mein Schwiegervater schlug sich an die Stirn, als habe ihn eine plötzliche Erleuchtung überkommen, und sagte: In Ordnung, verstanden, du kannst dich setzen. Was hatte er verstanden? Wissen Sie es? Ich nicht, nicht bis viel später, als er mir erklärte, dass Frauen, wenn sie ihre Periode bekommen, einen besonders scharfen Geruchssinn und eine lebhaftere Einbildungskraft entwickeln als sonst. Deshalb sind viele wichtige Entdeckungen in der Geschichte der Menschheit eng mit dem weiblichen Menstruationszyklus verbunden. Und jetzt, sagte mein Schwiegervater mit ernster Miene, steht der Kommilitone, der Urin gesagt hat, bitte auf! Ich hörte ein lautes Surren in den Ohren und sah Sterne vor den Augen, als habe man mir einen Knüppel über den Kopf geschlagen. Ich hatte nicht geahnt, dass ein alter Furz wie er ein so scharfes Gehör haben konnte. Steh auf! Sei nicht schüchtern!, sagte er. Meine Verlegenheit erregte die Aufmerksamkeit des gesamten Hörsaals einschließlich des Mädchens mit den Zöpfen, die ihre Tage hatte. Ihr Name war Jin Manli, ein typischer Name für eine Agentin. Was zwischen uns beiden geschah, werde ich in einer anderen Geschichte erzählen. Später war sie Doktorandin bei meinem Schwiegervater. Verdammt nochmal, mein stinkendes Maul hat mich schon wieder in Schwierigkeiten gebracht! Li Yidou, Li Yidou, was haben dir deine Eltern gesagt, als du von zu Hause fortgingst? Haben sie dir nicht gesagt, du sollst weniger reden und besser zuhören? Du und dein Mundwerk! Nicht einmal mit Heftpflaster könnte man es schließen. Wie bei einem voll gefressenen Specht, der mit dem Schnabel in einem Baum stecken bleibt und stirbt, wird man auch von mir einst sagen: Sein Schnabel war sein Unglück. Schrecklich verlegen stand ich auf und wagte kaum, den Kopf zu heben. Wie heißt du? Li Yidou oder «Li Eine-Kanne». Kein Wunder, dass du eine lebhafte Phantasie hast. Du bist der wiedergeborene Gott des Alkohols. Der Hörsaal brach in Gelächter aus. Er stillte das Gelächter mit einer Handbewegung, trank einen Schluck Schnaps, schmatzte und sagte: Setz dich, Li Yidou! Ehrlich gesagt, du gefällst mir. Du bist anders als die anderen.
Ich setzte mich völlig verwirrt wieder hin und sah zu, wie mein Schwiegervater seinen Flachmann sorgfältig wieder verschloss, ihn kräftig schüttelte und das Glas gegen das Licht hielt, um den Anblick der kleinen Bläschen zu genießen, die darin tanzten. In singendem Tonfall sagte er: Liebe Kommilitonen, dies ist eine heilige Substanz, eine für das menschliche Leben unentbehrliche Flüssigkeit. Heutzutage, in einer Zeit der Reform und Liberalisierung, übernimmt sie von Tag zu Tag neue Funktionen. Es ist keine übertriebene Behauptung, dass ohne Alkohol die Wiederbelebung Jiuguos nichts als leeres Wortgeklingel wäre. Alkohol ist Sonnenschein, er ist Luft, er ist Blut. Alkohol ist Musik, Malerei, Ballett, Poesie. Ein Schnapsbrenner beherrscht viele Künste. Ich hoffe, dass einer von euch ein Meisterbrenner wird, der mit einer Goldmedaille auf der Weltausstellung von Barcelona Ruhm für unser Land einheimst. Vor einiger Zeit habe ich Stimmen gehört, die unseren Beruf verhöhnten, weil er keine Zukunft habe. Kommilitonen, ich kann euch sagen, dass selbst wenn eines Tages die Welt zerstört werden sollte, die Molekularsubstanz des Alkohols noch immer durch das Universum kreisen würde.
Unter donnerndem Applaus hob mein Schwiegervater mit feierlichem, geradezu göttlichem Gesichtsausdruck – dem Ausdruck, den wir nur allzu oft im Gesicht unserer Filmhelden sehen – seinen Flachmann in die Luft. Ich schämte mich, eine blasphemische Äußerung über eine so bedeutsame Flüssigkeit getan zu haben, indem ich sie Urin nannte, auch wenn sie natürlich früher oder später zu Urin wird.
Der Ursprung dieser himmlischen Flüssigkeit, sagte mein Schwiegervater, ist immer noch ein Geheimnis. Mehrere Jahrtausende Alkohol mussten sich zu Strömen vereinen, bis der Gelbe Fluss und der Jangtse entstanden. Dennoch können wir ihre Quelle immer noch nicht lokalisieren. Wir
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