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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Ampeln, grüne Ampeln, Linkskurven, Rechtskurven. Sie erreichten das Gelände der Brauereihochschule durch einen Seiteneingang und fuhren auf den Parkplatz. Sie stieg aus; er folgte ihr. Wenn sie ging, ging auch er; wenn sie stehen blieb, blieb auch er stehen. Gewiss war das alles seltsam und bizarr, aber irgendwie kam es ihm auch vollkommen natürlich vor. Wie sie unbekümmert ihre Wohnung betraten, hätte er auch ihr Ehemann oder ihr Liebhaber sein können. Jetzt verdaute er entspannt die köstliche Mahlzeit, die sie gekocht hatte, streckte sich auf ihrem Sofa aus, nippte an einem Weinglas, genoss den Anblick ihres gut möblierten Wohnzimmers und wartete hoffnungsvoll darauf, dass sie aus dem Badezimmer kam.
    Gelegentlich riss ihn ein scharfes Stechen in der Zunge in die Wirklichkeit zurück. Vielleicht war sie ja damit beschäftigt, ihm eine noch hinterhältigere Falle zu stellen. Vielleicht würde plötzlich ein gewalttätiger Ehemann auftauchen. Das Zimmer hatte offensichtlich schon einmal einen männlichen Mitbewohner gesehen. Und wennschon! Ich rühre mich nicht vom Fleck, selbst wenn zwei gewalttätige Männer auftauchen. Er leerte das Glas Südwein und versank in süße Träume.
    Sie kam in einem cremefarbenen Bademantel und hellroten Pantoffeln aus dem Badezimmer. Diese Frau wusste, wie man geht. Sie hatte den verführerischen Hüftschwung einer exotischen Tänzerin. Der Holzboden quietschte unter ihren Füßen. Goldenes Lampenlicht umschmeichelte sie. Nasses Haar klebte an ihrer Kopfhaut. Ihr Kopf war hübsch und rund wie ein vollkommen gewachsener Kürbis, der in einem Heiligenschein über ihrem Bademantel schwebte. «Greif mit der einen Hand nach Wohlstand, bekämpfe mit der anderen alles Unanständige.» Aus irgendeinem Grund ging ihm dieser Slogan durch den Kopf. Sie stand mit gekreuzten Beinen und lose gegürtetem Bademantel vor ihm. Ein Muttermal auf ihrem schneeweißen Oberschenkel sah wie ein wachsames Auge aus. Auch die beiden fleischigen Hügel, die sich auf ihrem Brustkorb erhoben, waren weiß. Ding Gou'er lag mit gesenkten Lidern da, genoss den Anblick und rührte keinen Muskel. Er hätte nichts tun brauchen, als den Arm auszustrecken und an dem Gürtel um ihre Taille zu ziehen, um die Lastwagenfahrerin völlig enthüllt vor sich zu sehen. Sie benahm sich eher wie eine vornehme Dame als wie eine Lastwagenfahrerin. Wenn er ihre Wohnung und ihre Einrichtung ansah, war ihr Mann wohl kaum irgendeine unbedeutende Figur. Er zündete sich noch eine Zigarette an und studierte wie ein schlauer Fuchs den Köder, der ihn in die Falle gelockt hatte.
    «Immer nur anschauen und nichts tun», meinte die Lastwagenfahrerin ein wenig verärgert. «Ist das der Lebensstil eines Kommunisten?»
    «Das ist die Art, wie sich kommunistische Geheimagenten an weibliche Agenten des Klassenfeinds heranmachen.»
    «Wirklich?»
    «Na ja, im Kino.»
    «Bist du Schauspieler?»
    «Ich will es werden.»
    Langsam öffnete sie den Gürtel ihres Bademantels und ließ den weichen Stoff mit einem Schulterzucken zu Boden sinken. Schlank und grazil waren die Worte, die ihm dazu einfielen.
    Sie hob ihre Brüste mit den Händen an und fragte: «Gefallen sie dir?»
    «Nicht schlecht», antwortete der Ermittler.
    «Und jetzt?»
    «Weitere Beobachtung ist angesagt.»
    Sie nahm seine Pistole vom Tisch, lud sie mit geübter Hand und trat dann ein paar Schritte zurück. Das Lampenlicht hüllte ihren Körper in goldenen Glanz. Natürlich nicht den ganzen Körper: Die Ringe um ihre Brustwarzen waren dunkelrot, die Brustwarzen selbst braunrot wie reife Datteln. Langsam hob sie die Waffe, bis die Mündung genau auf den Kopf des Ermittlers zielte.
    Sein Blick hing am blauen Stahl des Laufs und der schwarzen Öffnung der Mündung. Ein leichter Schauer überfiel ihn. Er war gewohnt, die Waffe auf die Köpfe anderer Leute zu richten, war immer die Katze gewesen, die zusah, wie die Maus sich in ihren Krallen wand. Die meisten Mäuse zitterten im Angesicht des Todes und bepissten sich vor Angst. Nur wenige schafften es, Gleichmut vorzutäuschen, ohne dass das Zittern einer Fingerspitze oder ein leichtes Zucken der Mundwinkel ihre Angst verraten hätte. Jetzt war die Katze zur Maus geworden, der Richter zum Angeklagten. Er starrte auf seine eigene Pistole, als sähe er sie zum ersten Mal. Der dunkle Glanz des Laufs erinnerte ihn an blau glasierte Kacheln und war so bezaubernd wie der Duft gut ausgereiften Branntweins. Die klaren Umrisse der Waffe

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